Der Faktencheck der Grünen Wirtschaft nimm kursierende Mythen aus dem Kosmos der österreichischen Wirtschaft und stellt sie auf den Prüfstand.
In dieser Ausgabe widmen wir uns der vermeintlichen Abwanderung der Industrie.
Mythos:
Wir schaden mit ambitionierter Klimagesetzen dem Standort – die Industrie wandert ab.
Fakt:
Unternehmer:innen suchen gezielt nach Standorten mit viel grüner Energie und guter Infrastruktur.
Harald Mahrer, Präsident der vom ÖVP-Wirtschaftsbund dominierten Wirtschaftskammer schlägt seit Monaten Alarm: Österreich steht vor der Deindustrialisierung. Immer mehr Industrieunternehmen würden abwandern wodurch Österreich der wirtschaftliche Verfall drohe. Vor allem die hohen Energiekosten in Österreich würden Entscheidungsträger:innen von Industrieunternehmen dazu bewegen, Standorte zu verlagern, oder zumindest Neuinvestitionen in Ländern mit geringeren Energiekosten zu tätigen.
Mit diesem Argument wird gegen ambitionierte Klimapolitik mobilisiert – obwohl genau diese die Lösung ist.
Brauchen wir mehr billige fossile Energie?
Klar ist: ausreichend günstige Energie ist für einen wettbewerbsfähigen Industriestandort überlebensnotwendig. Was aber auch klar ist: fossile Energie wird – wenn wir die Klimakatastrophe verhindern wollen – teuer bleiben bzw. noch teurer werden[1]. Das liegt an unzähligen nationalen und internationalen Gesetzen, die CO2 einen Preis geben, der mit der Zeit steigt. Damit sollen die negativen Effekte des CO2-Verbrauchs bepreist, Kostenwahrheit hergestellt, sowie der Umstieg auf Erneuerbare angekurbelt werden.
Schadet ambitionierte Klimapolitik dem Standort?
Immer, wenn ambitionierte Klimagesetzgebung diskutiert wird, warnen Wirtschaftskammer und Co vor dem sogenannten Carbon Leakage. Damit ist die Verlagerung von energieintensiver und damit heute noch meist CO2-intensiver Industrie in Regionen mit weniger Auflagen und geringerem oder keinem CO2-Preis gemeint. Emissionen werden der Argumentation zur Folge durch strengere Regeln nicht verhindert, sondern nur in andere Weltregionen verlagert. Gleichzeitig würden wir dadurch Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.
Seit einiger Zeit lässt sich aber ein gegenteiliger Effekt beobachten: Immer mehr Industriebetriebe siedeln sich genau dort an, wo durch kluge Klimapolitik und genügend erneuerbare Energien ökologisch und wirtschaftlich zukunftsfähige Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der sogenannte Renewables-Pull-Effekt (man könnte es auch als Carbon Leakage in grün bezeichnen[2]) beschreibt die Tendenz, dass Industrieunternehmen ganz bewusst in den Regionen investieren, die durch frühzeitige und ambitionierte Maßnahmen zur Transformation kostengünstig und langfristig gesichert ausreichend Energie und Infrastruktur zur Verfügung stellen.
„Erneuerbare werden also gebraucht werden, um wettbewerbsfähig in der Industrieproduktion zu bleiben“, sagt dazu Beata Javorcik, Chefökonomin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung[3].
Gibt es dazu schon wissenschaftliche Forschung?
Ja, z.B. haben sich Wissenschafter:innen des Wuppertal Instituts Mitte 2023 mit dem Phänomen beschäftigt. Die Auswirkungen der unterschiedlichen Kosten und der Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energie werden in Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Standortentscheidung von Industrieunternehmen spielen. Die Forscher:innen fassen ihre Analyse so zusammen:
“Bisher wurde immer wieder befürchtet, dass Regionen mit vergleichsweise schwachen Klimaschutzauflagen und niedrigen CO2-Preisen energieintensive und mit fossilen Energieträgern betriebene Industrieproduktion anziehen könnten. Da aber mittlerweile die Kosten für die Erzeugung von Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen stark gesunken sind und die CO2-Preise in Zukunft voraussichtlich weltweit steigen werden, erwarten wir vielmehr eine zunehmende Bedeutung des Renewables-Pull-Effekts.”[4]
Zusammenfassung:
Die Industrie ist ein bedeutender Sektor der österreichischen Volkswirtschaft. WK-Präsident Mahrer hat nicht unrecht, wenn er behauptet, dass Industrieunternehmen unter Druck stehen. Die hohen Energiepreise und damit einhergehend die Gefahr der Abwanderung von Industrieunternehmen ist aber nicht der ambitionierten nationalen und europäischen Energie- und Klimapolitik geschuldet, sondern genau dem Gegenteil: Es braucht deutlich mehr Angebot an grüner Energie und dazugehöriger Infrastruktur! Den Entscheidungsträger:innen von Industrieunternehmen ist das bewusst, ÖVP-Wirtschaftsbund Präsident Mahrer & Co anscheinend noch nicht.
Du willst mehr?
Hier gelangst zu unserem ersten Faktencheck, welcher dem Mythos nachgeht, ob sich die Wirtschaftskammer tatsächlich zu den Klimazielen bekennt.
Quellen:
[1] Notabene: Der Grund für die aktuell hohen Energiepreise ist aber weniger eine zu ambitionierte Klimapolitik, sondern, dass Österreich – mit aktiver Mitarbeit der vom ÖVP-Wirtschaftsbund dominierten Wirtschaftskammer – blind auf Putins Russland als Hauptquelle von Energie gesetzt hat.
[2] https://www.diepresse.com/18433371/der-gruene-sog-unternehmen-zieht-es-an-die-sonne
[3] https://www.diepresse.com/18433371/der-gruene-sog-unternehmen-zieht-es-an-die-sonne