Warum es sich lohnt, auch abseits des Frauen-Monats-März auf den Spuren der Frauenrechtlerinnen in Wien zu wandeln?

Die Pandemie macht erfinderisch oder wie frau das Grätzl vor ihrer Haustür entdecken kann.

Ein Interview mit Susanna Oberforcher von Maria Schönswetter

Am 13. Oktober wandeln wir mit Susanna übrigens auf den Spuren von den ersten Wiener Wirtschaftsfrauen. Mehr Infos und Anmeldung findest du HIER.

Maria Schönswetter: Bitte erzähle uns von dir. Wer bist du und was machst du beruflich?

Susanna Oberforcher: Ich bin ein staatlich geprüfter Fremdenführer. Ja, das ist der offizielle Berufstitel, die Berufsbezeichnung wird leider nicht gegendert. Der Gewerbeschein wird so ausgestellt, obwohl zu gut 80 Prozent Frauen in diesem Beruf arbeiten. Viele von uns Fremdenführer:innen, arbeiten unter der Dachmarke »Austrian Guides«, da es bisher nicht zu einer Einigung in der Genderfrage gekommen ist.

Ich habe die Fremdenführer:innen-Prüfung gemacht, da war ich 50 Jahre alt. Ich bin eine Quereinsteigerin und ich arbeite seit 15 Jahren in diesem Beruf. Minus zwei Jahre, weil während der Pandemie war für uns so gut wie nichts zu tun.

Collage mit Fotos von Susanna
Foto: Maria Schönswetter

Du bist mit deinen Touren in Wien unterwegs und erzählst auf deinen theatralen Spaziergängen über Frauen und ihre Geschichten. Ist Frauengeschichte in Wien präsent?

Für gewöhnlich mache ich mit Tourist:innen die bekannten Führungen, u.a. in der Innenstadt. Was ich aber schon immer wieder für Freund:innen und Bekannte gemacht habe, sind Spaziergänge auf den Spuren von Frauen im Stadtzentrum. Das mache ich auch weiterhin, das ist ein Klassiker geworden. Aber der Wunsch nach etwas Neuem war schon vor der Pandemie da.

Und während der touristenlosen Zeit, hatte ich dann die Idee der theatralen Spaziergänge. Einen dieser Spaziergänge mache ich gemeinsam mit einer Musikerin. Der Pfarrplatz in Heiligenstadt und das Beethovenhaus bilden dabei die stimmungsvolle Kulisse. Bei diesem theatralen Spaziergang schlüpfe ich in die Rolle der französischen Humanistin und Frauenrechtlerin Olympe de Gouges. Sie war enttäuscht, dass die Menschenrechte, die 1789 proklamiert wurden, ausschließlich für Männer Gültigkeit hatten, und sie hat dann die Frauen- und Bürgerinnenrechte veröffentlicht. Infos zu Terminen findest du auf meiner Website.

In der Zeit der Pandemie hast du neue Themen für deine Touren gesucht. Wie bist du auf die Idee der theatralen Spaziergänge gekommen?

Ich spiele seit über 30 Jahren in einer Amateur-Theater-Gruppe und habe vor vier Jahren mein erstes Theaterstück geschrieben, das heißt »Zeitungsweiber – Dokumente der Frauen«.

Auf das Thema bin ich gekommen, als ich bei einer Führung einer Berufskollegin, Petra Unger, mitgegangen bin und sie auf den »Ariadne-Faden« hingewiesen hat. Der Ariadne-Faden ist vor 30 Jahren in der österreichischen Nationalbibliothek eingeführt worden. Er soll Geschichte aus dem Blickwinkel von Frauen sichtbar machen und helfen, Lebensgeschichten von Frauen auffindbar zu machen. Frauen oder auch die feministische Perspektive kommen in der allgemeinen Geschichtsschreibung kaum vor, da die Geschichtsschreibung eine klare männliche Handschrift trägt. Geschichte erzählt stets die Geschichte der Sieger.

Susanna und Kolleginnen bei einer Tour
Foto: Beate Hemmelmayr

So bin ich auf einige Frauenrechtlerinnen gekommen, die eine gemeinsame politische Zeitschrift »Dokumente der Frauen« herausgebracht haben, nämlich Rosa Mayreder, Marie Lang und Auguste Fickert. Da ich schon viel über die Auguste Fickert wusste und sie auch bereits gespielt habe, bin ich auf die Idee gekommen »mit ihr spazieren zu gehen«.

Was hat dich dazu motiviert, bei deinen Führungen eine Rolle anzunehmen, oder zu spielen?

In der Pandemie ist mir meine Tätigkeit als Stadtführerin sehr abgegangen. Das Kennenlernen von Menschen aus allen Teilen der Welt, ihnen Wien näherzubringen und ihnen die Geschichte und Geschichten von den Menschen dieser Stadt zu erzählen. Da bin ich auf die Idee der historischen Frauenfiguren gekommen.

Das würde auch die Wiener:innen interessieren und würde ihnen die Stadt und ihr Grätzl näherbringen, war ich mir sicher. Viele Menschen, die hier leben, kennen nur wenige Geschichten über ihre Stadt. Dabei ist Wien so vielfältig und vielschichtig, dass es ständig etwas Neues und Interessantes zu entdecken gibt. Eine Stadt ist eben ein sehr lebendiger Organismus.

So sind die theatralen Spaziergänge entstanden. Ich schlüpfe in ein historisches Kostüm, um die Geschichten von damals zu vergegenwärtigen. Eine dieser Figuren ist die Frauenrechtlerin Auguste Fickert. Der theatrale Spaziergang findet im 18. und 19. Bezirk durch das Cottage Viertel statt.

Beim Spaziergang mit Auguste Fickert von Döbling nach Währing taucht man ein, in das Wien um 1900, erzählt und erlebt von einer streitbaren Lehrerin.

Auch ihre prominenten Nachbarn wie Felix Salten, Arthur Schnitzler, Theodor Herzl werden kurz vorgestellt und ebenso Fickerts eigenes Wohnprojekt, mit dem sie leistbare Wohnungen für ledige, berufstätige Frauen geschaffen hat.

Wie viele weibliche Denkmäler werden auf deiner Tour durch die Gassen und Straßen besucht? Wie viele gibt es eigentlich?

Statue der Auguste Fickert im Türkenschanzpark
Foto: Beate Hemmelmayr

Wir haben so ca. 200 Denkmäler in Wien und davon sind fünf Frauen gewidmet und zwar Pallas Athene, Maria Theresia, Kaiserin Sisi, ein erst kürzlich entstandenes ist den Trümmerfrauen gewidmet. Und im Türkenschanzpark gibt es eine lebensgroße Statue von Auguste Fickert, die ich im Zuge meiner Recherchen entdeckt habe.

Von den rund 4.400 Straßennamen bzw. Namen von Verkehrsflächen, die sich auf Personen beziehen, sind weniger als zehn Prozent Frauen gewidmet. Anders ist es in der Seestadt, da wurden nur Frauennamen vergeben. Straßennamen umzubenennen, ist sehr unpopulär, da es für die Bewohner:innen dieser Straßen viel Aufwand bedeutet. Aber wenn neue Verkehrsflächen o.ä. neu zu benennen ist, kann der Bezirk einen Vorschlag machen.

Welches Grätzl findest du spannend und wo kommt man bei deinen Führungen auch vorbei?

Im Volksgarten gibt es einen Gedenkstein, der daran erinnert, dass bereits 1848 bei unserer einzigen Revolution, Frauen politische Mitbestimmung gefordert haben. Zu diesem Zeitpunkt war es den Frauen nicht erlaubt, Kaffeehäuser und Wirtshäuser zu besuchen. Um sich zu versammeln, hat man sich im Freien, im Volksgarten getroffen.

Ich beginne meine Innenstadt-Führungen gerne bei der Universität Wien. Es gibt ein tolles Projekt im Hof des Campus. Da wurden bzw. werden zu den 140 bestehenden Männerbüsten sukzessive Frauen dazu gestellt. Das ist alles Teil eines großen Projektes, dass unter »Der Muse reicht’s« bekannt ist und u.a. von Iris Andraschek, zum Anlass der 650 Jahres Feier der Universität (mit-)gestaltet worden ist.

Die Albertina fällt mir ein, die geht zurück auf den Erzherzog Albert von Sachsen Teschen, das war der Mann von der Erzherzogin Maria Christina, der Tochter von Maria Theresia. Beide waren Kunstliebhaber:innen, wobei sie das Geld hatte. Er war nicht reich. Die haben viel gekauft und man hätte das Museum nach ihr benennen können, dass Maria-Christina-Museum zum Beispiel. So ist es nicht gekommen, sondern es wurde nach ihm benannt, Albertina. Ein ruhiges Platzerl ist die Mölkerbastei oder das Blutgassenviertel gleich hinterm Stephansdom. Es gibt unzählige interessante Grätzl in jedem Bezirk – also buchstäblich vor der eigenen Haustür.

Was hält 2022 für dich bereit?

Ostern fiel dieses Jahr gut, es sollten vor allem Individualtourist:innen kommen. Was es aber braucht, um eine überlebensfähige Auslastung zu schaffen, sind Reisegruppen. Die braucht es dringend und die sehe ich dieses Jahr noch nicht. Sehr wichtig sind für uns die Gäste aus Deutschland, ihr Anteil liegt bzw. lag bei fast 80 Prozent.

Allerdings hat sich die Situation im Tourismus durch den Ausbruch des Ukraine-Krieges leider erneut verschlechtert. Speziell hart trifft es die Kolleg:innen, die mit russischsprachigen Gästen arbeiten, für sie wird es wohl überhaupt keine Aufträge geben.

Collage mit Fotos vom Spaziergang
Fotos: Maria Schönswetter

Inwieweit ist die Branche der Fremdenführer: innen bereit, auf neuen Themen-Pfaden zu wandeln?

Von den rund 600 geprüften Fremdenführer:innen in Wien werden insgesamt weit über 140 Themenführungen zur Gegenwart und Geschichte der Stadt angeboten, wobei die Palette vom jüdischen Wien, über Erotik-, Hexen- oder Jugendstilführungen reicht. Dazu kommen Grätzl-Führungen, die in jedem Bezirk angeboten werden. Also eine sehr breite Palette, die auch ständig erweitert wird, wie etwa Führungen in der Seestadt oder Touren zum Thema Klimawandel. Denn die Geschichte der Stadt wird täglich neu geschrieben.

Wie gestaltet sich die aktuelle Situation für die Fremdenführer:innen?

Fremdenführer:in ist in Österreich ein reglementiertes Gewerbe, was ich grundsätzlich nicht schlecht finde, um dadurch Qualität und Konsument:innenschutz zu sichern. Es ist auch wichtig, einen angemessen Stundensatz verlangen zu können, um die Tätigkeit des Fremdenführers, als Beruf, und nicht als Nebenbeschäftigung oder Hobby ausüben zu können. Fremdenführer:innen arbeiten fast ausschließlich als Ein-Personen-Unternehmer:innen – also als Einzelkämpfer:innen – daher finde ich es sehr wichtig, in größeren Organisationen wie etwa der Grünen Wirtschaft organisiert zu sein.

Wir sind in der EU nicht das einzige Land, in dem die Branche der Fremdenführer:innen ein reglementiertes Gewerbe ist. In Ländern, die keine staatliche Reglementierung haben, gibt es freiwillige Zertifizierungssysteme zur Qualitätssicherung.

Susanne Oberforcher als Auguste Fickert
Foto: Beate Hemmelmayr

Wie findet man dich und wie kann man bei deinen theatralen Spaziergängen teilnehmen?

Auf meiner Homepage gibt es aktuelle Informationen zu meinen Führungen. Wie man sie buchen kann und auch die Möglichkeit, einen Termin für eine Stadtführung exklusiv für seine private Kleingruppe zu buchen gibt es unter:

https://www.geschichtespaziert.at/

Ich bin auch über Facebook und Instagram zu finden.