Wie kommt ein Geschäft ins Grätzl?

Grätzl-Werk-Stadt No. 61

von Guido Schwarz

© Katarina Lindbichler

Wir wollen viele bunte, verschiedene, interessante und einfach gute Geschäfte im Grätzl, weil das fördert die Belebung, die Wirtschaft und die Kommunikation der Bewohner:innen. Zusätzlich hilft es beim Klimaschutz, denn wenn ich ein tolles Geschäft in der Nähe habe, muss ich nicht mit dem Auto irgendwohin fahren. Zufußgehend kann ich Leute treffen und sehe, was in meinem Grätzl passiert, das wiederum steigert die Bindung und fördert Zufriedenheit.

Aber wie kommen die Geschäfte dorthin, wo wir sie brauchen? Der Klassiker heißt natürlich „war immer schon da“. Diese Geschäfte sind meistens eigentümergeführt und gehören im Idealfall auch der Geschäftsbetreiberin, die somit keine Miete zahlen muss und daher etwas krisensicherer ist. Oder es gibt einen alten Mietvertrag, was allerdings oft dazu führt, dass sich das Geschäft für die Hauseigentümerin nicht rechnet und sie das Geschäft gerne loswerden möchte.

Viele Geschäftstreibende haben aber nicht das nötige Kleingeld, um sich das Lokal zu kaufen. Beim Anmieten tauchen meistens drei Fragen auf:

1.) Will der Hauseigentümer mein Gewerbe? (Die Spitzenreiter bei den Ablehnungsgründen sind „zu laut“ oder „zu geruchsintensiv“, Gastro ist am unbeliebtesten.)

2.) Wie hoch ist die Miete?

3.) Wie passend ist das Lokal für meine Anforderungen und wie lange möchte ich bleiben?

Wenn das klappt, stellt sich recht schnell die Frage, ob und wie das Geschäft im Grätzl Fuß fassen kann. Es geht nämlich nicht nur um die Frequenz und den Umsatz bzw. dieser hängt von vielen Faktoren ab. Sehen wir uns ein paar davon an.

1.) Die Bezirkspolitik

Sie kann Neuansiedelungen fördern oder versuchen zu verhindern. „Not in my backyard“ führt oft dazu, dass Anrainer:innen gegen ein neues Geschäft sind und entsprechende Schritte setzen. Einer davon ist die Beschwerde bei der Bezirksvorstehung. Da werden Unterschriften gesammelt, Foren eröffnet und blitzschnell wird eine Empörungsspirale hochgezogen. Wütende Briefe und Anrufe machen Stimmung und wenn sich der Bezirk dem beugt, kann es für die neuen Geschäftstreibenden ungemütlich werden. Manchmal wollen sie sich den Stress auch einfach nicht antun, schließlich sind sie gekommen, um ihr Business zu betreiben und nicht um sich ständig zu ärgern.

Ein Beispiel dafür ist der „Mjam-Supermarkt“ in der Edelhofgasse in Währing. Davor war in dem Lokal eine Autowerkstätte und man möchte meinen, dass die Anwohner:innen jetzt aufatmen, weil statt lärmender und stinkender PKW jetzt leise Elektrofahrräder herumfahren. Dem war aber nicht so, man hatte Angst vor den anliefernden LKW, vor den tratschenden Auslieferern, möglichen Tschickstummelverschmutzungsgefahren und irgendwelchem Lärm, vielleicht sogar rund um die Uhr.

Wäre es möglich durch einen einfachen Anrainerprotest die Ansiedelung eines Geschäfts zu verhindern, gäbe es in Wien kein einziges Geschäft, denn es gäbe immer irgendwen, der irgendeinen Grund hätte, warum ihm/ihr das nicht gefällt.

Die Firma Mjam heißt jetzt Foodora und hat durch etliche Maßnahmen, wie leise Rolltore und einen Aufenthaltsbereich im Inneren, dafür gesorgt, dass die Beeinträchtigungen der hochsensiblen Bewohner:innen der umliegenden Häuser fast gegen Null gehen. Die Anlieferzeiten wurden entsprechend angepasst. Die Proteste sind mit der Zeit verebbt, es funktioniert ganz gut.

2.) Die „Stakeholder“

Wenn wir genauer hinsehen, dann geht es nicht mehr nur um die Bezirkspolitik, sondern auch um die Vernetzung des Betriebs mit seiner Umwelt. Gibt es aktiven Kontakt zu den angrenzenden Bewohner:innen? Zur Bezirksvorstehung? Zu anderen Geschäften, zu Schulen, zu Vereinen? Davon kann viel abhängen, im Idealfall erfolgt die Kontaktaufnahme schon vor der Ansiedelung, dann können eventuelle Probleme schon beseitigt werden, bevor sie überhaupt auftauchen.


Dazu ein gutes Beispiel. Kathrin Purker, Franchise-Partnerin von SONNENTOR, wollte sich in Währing ansiedeln. Da sie für den Verkauf ihrer Produkte einen guten Standort braucht, war die Suche nach dem richtigen Lokal entscheidend.

Kathrin Purker
©Sonnentor

Heute ist sie Geschäftsführerin und erklärt uns, wie das funktioniert hat.

Wie kamen Sie überhaupt zu diesem Geschäft?

Ich bin in Währing schon zur Schule gegangen und war danach oft bei meiner Oma, die hier gewohnt hat. Ich wurde dann Volksschullehrerin und hab in meiner alten Schule unterrichtet bis zum 40. Geburtstag. Irgendwann ist dann die Frage aufgetaucht, ob ich das bis zu meiner Pension tun möchte. Eines Tages saß ich im SONNENTOR auf der Landstraße und hab erfahren, dass das ein Franchise-Lokal ist. Nach einem Besuch auf der Website kamen dann alle möglichen Gedanken und Ideen, wie es wäre ein eigenes SONNENTOR Geschäft zu haben. Nach der Recherche kam eigentlich nur Währing in Frage, da ich mit dem Bezirk sehr verbunden bin.

Wie war die Suche nach dem geeigneten Lokal?

Da kam mir der Zufall zu Hilfe, dass ein bekannter Makler mir von einem Geschäft auf der Währinger Straße, das eventuell zu haben wäre, erzählte. Da war aber noch eine Boutique drin und es war nicht klar, ob ich das bekommen und mir leisten kann. Hinzu kommt, dass SONNENTOR ein sehr klares Konzept für Franchise-Partnerschaften hat. Da braucht es mehr als nur ein geeignetes Lokal.

Glücklicherweise konnte mir mein Mann helfen, der ist selbst Franchisenehmer und ohne seine Motivation und Unterstützung hätte ich mich das nicht getraut.

Wie hat es dann doch funktioniert?

Ich habe mich beworben und wurde zu SONNENTOR nach Sprögnitz im Waldviertel eingeladen. Dort bekam ich einen wirklich guten Blick hinter die Kulissen und jede Menge Hilfe, die ich auch dringend gebraucht habe, weil mir als VS-Lehrerin enorm viel Wissen und Erfahrung gefehlt haben. Bei diesem Erstbesuch durfte ich nicht nur hinter die Kulissen dieses Unternehmens schauen, sondern auch Johannes Gutmann, den Gründer, persönlich kennenlernen. Es war sehr interessant, das Franchise-System von SONNENTOR kennenzulernen, denn das ist sehr ausgeklügelt und durchdacht. Ich bekam von Anfang an extrem viel Unterstützung, vor allem beim Businessplan. Das war mir ganz wichtig, weil ich wollte mich in so einer Konstruktion unbedingt wohlfühlen.

Was war dann die größte Herausforderung?

Auf jeden Fall die Verhandlungen rund um das Lokal. Die Vorgängerin stellte einige für mich schwierige Bedingungen, wobei das Wichtigste für mich war, einen langfristigen, leistbaren Mietvertrag zu bekommen. Und das hat geklappt.

Wieso war das so wichtig?

Weil ich in der schwierigen Zeit – wir reden von 2021, mitten in der Corona-Krise – eine halbwegs planbare Perspektive gebraucht habe. Und da ist eine leistbare Miete die Basis. Trotzdem war mir damals mulmig im Bauch, heute bin ich aber sehr glücklich, dass ich das Lokal genommen habe. Es ist eine exzellente Lage, vor allem die Straßenbahnhaltestelle ist sehr hilfreich.

Was war noch mulmig?

Die Abwägung des Risikos durch die hohe Anfangsinvestition und dagegen die Chance, die sich durch die gute Marke SONNENTOR bietet. Es war wichtig, dass wir von Anfang an einigermaßen gute Umsätze brauchen, sonst wäre es schwierig geworden.

Und wie waren die Umsätze?

Wir haben im September 2021 aufgesperrt und dann kam sofort die große Nachfrage und auch das Weihnachtsgeschäft stand vor der Tür. Das war unfassbar stressig, weil ich ja in vielen Bereichen wie Buchhaltung und IT keine Erfahrung hatte. Aber am Ende des Jahres war ich sehr stolz auf mich und vor allem aber mein tolles Team.

Welche Fehler sind da passiert?

Einige, aber glücklicherweise keine großen. Ich hatte am Anfang noch kein Gefühl für viele wichtige Dinge wie z. B. Kassensystem, Lager und Logistik. Aber auch hier wurde ich von SONNENTOR großartig unterstützt.

Stichwort Nachbargeschäfte. Wie entstand da der Kontakt und was ist daraus geworden?

Also die wichtigste Stütze war und ist die Petra Hartlieb von der Buchhandlung daneben. Ich bin am Anfang mit kleinen Geschenkpaketen in alle Geschäfte rundherum gegangen und habe so vorab schon einmal einige Leute im Grätzl kennengelernt. Viele kaufen jetzt bei mir regelmäßig ein, so wie viele andere Stammkund:innen, die ich inzwischen habe. Es gibt sogar welche, die jeden Tag bei mir einkaufen. Das sind oft Menschen, die auch ein wenig plaudern wollen und bei mir ist es recht gemütlich.

Petra war auch wichtig, weil sie mir jede Menge Tipps und Infos zu der Situation hier gegeben hat. So konnte ich ein Gefühl für das Grätzl entwickeln.

Wann hatten Sie das Gefühl wirklich angekommen zu sein?

Das war nachdem das erste Weihnachtsgeschäft vorbei war und wir es ohne große Pannen geschafft hatten. Das hat auch meine Mitarbeiterinnen sehr motiviert und uns alle als Team zusammengeschweißt. Ich fühle mich hier nicht als »Chefin« im klassischen Sinn und ich helfe auch immer wieder im Verkauf aus, auch wenn meine Damen das hervorragend ohne mich schupfen können. Zu Spitzenzeiten ist es aber wichtig.

Wie viele Mitarbeiterinnen haben Sie?

So zwischen vier und fünf, alle sind in Teilzeit. Das funktioniert sehr gut und sie sind auch sehr selbständig. Ich kümmere mich vor allem um Bestellungen, Sortiment und die gesamte Organisation rundherum.

 Wie hat das mit dem Bezirk und den Behörden funktioniert?

Glücklicherweise problemlos. Ich bin Mitglied im Währinger Wirtschaftsverein und mache auch mit bei der Weihnachtsbeleuchtung und beim Straßenfest. Irgendwie hat es auch sonst gut funktioniert, der Bezirk war froh, dass ich aufgesperrt habe, die Kundschaft noch viel mehr. Interessanterweise kommen heute noch Kund:innen, die mich auf das Handarbeitsgeschäft ansprechen, das vor der Boutique hier war. Sie meinen, jetzt hätte es hier wieder die Atmosphäre von früher. Sogar die ehemaligen Betreiber:innen vom Handarbeitsgeschäft kommen hin und wieder einkaufen.

Punkto Magistrat ist das insofern unkompliziert, weil ich erstens ja ein schon bestehendes Geschäft übernehmen konnte und zweitens bei mir weder Lärm noch unangenehme Gerüche entstehen.

Gab es irgendwo Widerstände?

Nein, nicht dass ich wüsste, wobei ich glaube, dass ich da auch Glück hatte. Die Behörden waren freundlich und auch sonst hat man uns eigentlich überall Rosen gestreut. Es war ein sehr nettes Ankommen und das ist es bis heute.

 Woran erkennen Sie das?

An vielen Kleinigkeiten. Es kommen z. B. immer wieder mal Leute rein, die mich auf unsere Pflanztröge vor dem Geschäft ansprechen. Die sind sogar genehmigt und manchmal höre ich, dass jemand nur deswegen erst reingekommen ist. Da bekomme ich dann etwa Tipps für das perfekte Gießen.


So einfach und reibungslos läuft es leider nicht immer. Sehen wir uns weitere, wichtige Punkte an, etwa die schon angesprochenen Behördenverfahren.

3.) Die Bewilligungsverfahren

Belüftung, Elektrik, Gas, Barrierefreiheit, Arbeitnehmer:innensicherheit und noch vieles mehr müssen überprüft werden, damit eine Betriebsanlagengenehmigung erteilt werden kann. Das ist nicht immer einfach und vor allem meistens nicht billig. Der teuerste Faktor ist meistens die vorgeschriebene Be- und Entlüftung, denn die notwendigen Anlagen sind oft richtig teuer. Es ist aber von enormer Bedeutung, eine wasserdichte Genehmigung zu haben, denn dann ist man weniger leicht angreifbar.

Solche Angriffe können von verschiedenen Seiten her kommen, etwa von den schon erwähnten Anrainer:innen, aber auch von der Konkurrenz, die man heute gerne »Marktbegleiter« nennt, die sich aber hin und wieder als das herausstellt, was sie ist: Konkurrenz.

Besonders schlimm ist es, wenn man irgendwo einen Feind hat, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Geschäft zu vernichten. Auch so einen Fall gab es in Währing, wo es um ein ausgesprochen nettes Kaffeehaus ging, das vom Nachbarn oberhalb gequält wurde. Er rief einmal am Tag die Polizei und machte eine Anzeige. Es wurde zwar nie etwas festgestellt, aber einmal hat der Besitzer außerhalb seiner Betriebszeiten mit einem Freund im Lokal Schach gespielt.

Das macht zwar keinen Lärm und stört absolut niemand, aber es war eine gute Gelegenheit, dem Betreiber Probleme zu bereiten und er wurde dann auch abgestraft. Hätte er keine aufrechte Betriebsanlagengenehmigung gehabt, wäre es noch deutlich schlimmer ausgegangen.

Die Vielfalt der Probleme und Hindernisse, die hier auftauchen können, ist enorm und bewirkt leider immer wieder, dass sich Unternehmer:innen die Neugründung oder Übersiedelung gar nicht antun. Es hängt enorm davon ab, ob und wie sie willkommen geheißen werden.

Vielleicht sollten wir uns wieder freuen, wenn Belebung ins Grätzl kommt, anstatt präventiv Angst vor einer möglichen Störung zu haben. »Angst essen Seele auf« heißt ein alter Filmtitel. Und ein Grätzl ohne Seele ist keines, in dem wir leben wollen.

 

Titelbild Fotocredit: Unsplash / Tony Lee