Ist die Party zu Ende? Von Leistungsanreizen und der Angst vor dem Wohlstandsverlust

Wie vor vier Wochen versprochen möchten wir hier nun einige der aufgestellten Forderungen aus der Kampagne »Damit sich Leistung lohnt« der Wirtschaftskammer Steiermark genauer unter die Lupe nehmen.

Verbringt man öfters Zeit in der Wirtschaftskammer, kommt man unweigerlich mit der These, dass »heutzutage alle nur mehr Teilzeit arbeiten wollen« in Berührung. Dieser Sachverhalt wird sehr oft als »Work-Life-Balance« belächelt, ohne zu hinterfragen, warum Menschen tendenziell immer weniger statt mehr arbeiten.

An diesem Punkt möchten wir gleich ansetzen, denn die Furcht vor dem Diskurs um den Wert und die Zukunft der Lohnarbeit und dem angeblich einhergehenden Wohlstandsverlust betrifft die Mehrzahl der Forderungen im gelben Heft.

Landessprecherin Andrea Kern – Foto: Philipp Podesser

An diesem Punkt möchten wir gleich ansetzen, denn die Furcht vor dem Diskurs um den Wert und die Zukunft der Lohnarbeit und dem angeblich einhergehenden Wohlstandsverlust betrifft die Mehrzahl der Forderungen im gelben Heft.

Mehr Leistung muss belohnt werden – von der Attraktivierung der Vollzeitarbeit

Nun wird gefordert, dass Teilzeitkräfte mehr arbeiten sollen, am besten in Vollzeit. Absurderweise wird seit jeher als Teilzeitarbeit aber jedes Beschäftigungsausmaß bezeichnet, das nicht Vollzeit ist. Also auch jene Arbeitnehmer:innen, die 35 Wochenstunden (ohne Überstunden!) arbeiten, wobei die faktische Wochenarbeitszeit 2022 bei 27,9 Stunden lag.

Schaut man sich die Zahlen genauer an, sieht man, dass von 50,7 Prozent Frauen und 12,6 Prozent Männern, die sich aktuell in einem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis befinden, nur ein Viertel der Arbeitnehmer:innen (10 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer) freiwillig in Teilzeit arbeiten. Die restlichen Arbeitskräfte haben aufgrund fehlender Kinderbetreuungsplätze, schlechten Verbindungen im öffentlichen Verkehr, einem geringen Angebot an Vollzeitstellen in bestimmten Branchen wie im Gesundheits-, Sozialbereich oder in der Gastronomie oder aufgrund von Altersdiskriminierung gar keine andere Wahl als das zu nehmen, was sie bekommen können. Zum Beispiel werden in den Gesundheitsberufen 35 Prozent und in der Gastronomie und Hotellerie 28 Prozent der Stellen nur in Teilzeit ausgeschrieben.

Bei diesen Problematiken muss woanders angesetzt werden. Es wird für die Mehrheit der Arbeitnehmer:innen, die in Teilzeit arbeiten, kaum eine Rolle spielen, ob sie nun einen steuerlichen Freibetrag in der Höhe von 15 Prozent bekämen oder die Steuerprogressionskurve abgeflacht werden würde und ihnen somit mehr Netto vom Brutto im Geldbörsel bleiben würde, wenn es die erwünschte Vollzeitstelle gar nicht gibt oder verkehrstechnisch nicht erreichbar ist. Die Rahmenbedingungen für arbeitende Menschen müssen so verändert werden, dass es überhaupt möglich ist, Vollzeit zu arbeiten. Von freiwillig gewählter »Work-Life-Balance« kann also gar keine Rede sein.

Das alte Lied von den Lohnnebenkosten

Als gelernte Österreicher:innen wissen wir, Österreich besteuert Arbeit sehr stark. 2022 standen wir im OECD-Vergleich auf Platz 3 nach Belgien und Italien. Generationen von Regierungen haben versucht, dieses System zu reformieren, bislang mit bescheidenem Erfolg. Nun startet die Wirtschaftskammer einen neuerlichen Versuch die rund 47,9 Prozent Lohnnebenkosten zu senken. Ohne nun in unser Sozialversicherungssystems einzugreifen, wären sehr leicht über 8 Prozent der Lohnnebenkosten zu senken, denn diese betreffen nicht-arbeitsbezogene Abgaben wie Zuzahlungen an die Wohnbauförderung und den Familienlastenausgleichsfonds, Kommunalsteuer und Kammerumlagen.

»Wer nur fordert und wenig beiträgt, gefährdet unseren Wohlstand.«

Wir können nachvollziehen, dass der Wirtschaft jene gut ausgebildeten Menschen ein Dorn im Auge ist, die für sich beschlossen haben, weniger zu konsumieren und deshalb auch weniger zu arbeiten. Das betrifft aber nur etwa 10 Prozent der Bestverdiener:innen. Beim Rest derjenigen, die wenig beitragen, handelt es sich um eine Vielzahl von Arbeitnehmer:innen, die das Pech haben, in der falschen Branche ausgebildet worden zu sein, in der falschen Region zu leben oder im falschen Geschlecht geboren worden zu sein.

Um ein Beispiel zu nennen, nehmen wir eine Frau, Mitte bis Ende 30 Jahre alt, mit Erziehungs- oder Pflegepflichten in der Familie: Diese Frau wohnt in einer strukturschwachen Region in der Steiermark und hat nach langem Suchen eine Teilzeitstelle im Sozialbereich über 18 Stunden ergattert. Sie ist gut qualifiziert, arbeitet aber seit der Babypause unter ihrem Qualifizierungsniveau und verdient wenig. Sie kann nicht auspendeln, da die Familie sich kein zweites Auto leisten kann. Mit dem öffentlichen Verkehr kann sie die flexiblen Dienstzeiten in ihrem Beruf nicht abdecken. Sie arbeitet von früh bis spät, jedoch in wirtschaftlich nicht anerkannten Bereichen wie familiäre Reproduktionstätigkeit und Pflege. Sie ist vom Einkommen ihres Partners abhängig und hat ein hohes Risiko im Alter in Armut zu leben.

Diese Frau trägt – wie so viele andere – wenig an Steuern und Abgaben, aber dafür viel für die Entlastung der Gesellschaft bei. Dafür bekommt sie auch Transferleistungen vom Staat. Ist sie nun eine derer, die den Wohlstand gefährden?

Vom Zwang als Beschäftigungsanreiz

Die Wirtschaftskammer will Beschäftigungsanreize schaffen und greift dazu auch auf Zwang zurück: Das Arbeitslosengeld in Österreich liegt mit 55 Prozent Nettoersatzrate ohnehin unter dem OECD-Schnitt. Seit 2018 möchte die ÖVP ein degressives Arbeitslosengeld einführen, nun stößt die Wirtschaftskammer ins gleiche Horn. D.h. je länger die Arbeitslosigkeit andauert, desto weniger Arbeitslosengeld wird ausgezahlt.

Die Effekte? Laut WIFO, das 2022 für eine Studie verschiedene Szenarien durchgespielt hat, seien die Beschäftigungsanreize überschaubar, denn das Kriterium sei nicht der arbeitssuchende Mensch, sondern der Arbeitsmarkt. Nach Doppelmoral schaut es zudem aus, wenn man weiß, dass viele Unternehmen in Saisonbranchen oder bei schlechter Auftragslage Arbeitskräfte gerne mit einer Wiedereinstellungszusage beim AMS zwischenparken. Dabei handelt es sich um ca. 40 Prozent der neuen Arbeitslosen.

Wie selten zuvor kam in letzter Zeit das Angebot der Bildungskarenz in die Kritik der konservativen Kräfte. Die Wirtschaftskammer möchte eine »sinnwidrige Inanspruchnahme der Bildungskarenz« verhindern und meint damit die Verlängerung der Elternkarenz. Übersehen wird dabei, dass die Arbeitgeberin:der Arbeitgeber einvernehmlich mit der Arbeitnehmerin:dem Arbeitnehmer dem Antrag auf Bildungskarenz zustimmen muss.

Fest steht, dass es immer wichtiger wird, Arbeitnehmer:innen eine Chance auf bezahlte Weiterbildung zu geben. Zurzeit wird das Angebot der Bildungskarenz gut angenommen (Rechnungshofbericht, April 2023) , jedoch vor allem von bereits gut qualifizierten Arbeitnehmer:innen. Menschen ohne Matura, mit Pflichtschulabschluss, Lehrabschluss oder mittlerer Ausbildung sind unterrepräsentiert. Das kann daran liegen, dass das Bildungskarenzgeld dem Arbeitslosenbezug entspricht und Menschen mit niedrigem Einkommen sich einfach keine Weiterbildung im Rahmen der Bildungskarenz leisten können. So gilt auch hier: Nicht einschränken, sondern an die Lebensrealitäten anpassen.