Viele Unternehmer:innen wünschen sich endlich ein Sozialsystem, auf das sie sich verlassen können. Eine mutige Reform ist überfällig.

Wettbewerbsfähigkeit, Standortsicherheit, Konjunktur – das sind die Schlagwörter, die Politiker:innen verwenden, wenn sie über Wirtschaft sprechen. Völlig unterbelichtet ist jedoch die Absicherung von Kleinunternehmer:innen im Krankheitsfall, bei Arbeitslosigkeit und in der Pension. Der Handlungsbedarf ist groß, denn unsere sozialen Auffangnetze stammen noch aus einer Zeit, als Ein-Personen-Unternehmen (EPU) eine Minderheit darstellten. Doch seit 2010 hat sich die Zahl der Solo-Selbstständigen in Österreich verdoppelt, auf 350.000 – das sind rund 60 % der WKO-Mitglieder, über die Hälfte davon Frauen. Eine klare Mehrheit!

Nur: EPU passen nicht ins alte Schema. Sie schaffen sich ihre Arbeitsplätze selbst. Sie arbeiten überdurchschnittlich viel, trotzdem ist ihr Einkommen moderat (Median: 16.322 Euro/Jahr vor Steuern). Sie sind anpassungsfähig und bringen Dynamik in die Wirtschaft. Doch das historisch gewachsene Sozialsystem aus dem 20. Jahrhundert wird ihrer Lage nicht gerecht und macht ihnen das Leben schwer.

Abgesichert?

150,44 Euro pro Monat beträgt der Mindestbeitrag für die Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS), ganz gleich, ob das ihr Umsatz auch hergibt oder nicht. Doch Krankengeld erhalten sie erst nach 42 Tagen Arbeitsausfall. Unternehmen mit mehreren Angestellten arbeiten weiter, wenn Chefin oder Chef einmal drei Wochen fehlen. Für EPU bedeutet eine längere Krankheit jedoch eine massive Existenzbedrohung, wenn nicht sogar das Ende ihres Unternehmens.

Viele Solopreneur:innen haben angesichts ihrer niedrigen Einkommen und der weiterlaufenden regelmäßigen Abgabenverpflichtung kaum Rücklagen, auf die sie zurückgreifen könnten. Zum fehlenden Krankengeld kommen die Selbstbehalte beim Arztbesuch. Auch ohne schwerwiegende Erkrankung kosten ganz normale Kontrollen bei Zahnärztin, Augenarzt, Gynäkologin, etc. schnell über 100 Euro pro Jahr zusätzlich. Für viele ist das eine Menge Geld – sie „leisten“ sich deshalb keinen Arztbesuch.

Gabi Harmtodt
Gabi Harmtodt © Philipp Horak

Wie sich das anfühlt, weiß die Vorarlberger Illustratorin und Grafikdesignerin Gabi Harmtodt. Sie ist seit 25 Jahren selbstständig – und lebt seit 16 Jahren mit Multipler Sklerose. „Ich liebe meine Arbeit und kann jedes Jahr spannende Projekte umsetzen. Doch wenn ich für ein paar Wochen ausfalle, bin ich kurz davor, alles hinzuschmeißen“, sagt Harmtodt. „Dabei denke ich mir: Ich muss als Unternehmerin doch auch einmal krank sein dürfen. Dafür bezahle ich schließlich meine Beiträge!“

Neue Perspektiven

Die Grüne Wirtschaft hat vor 25 Jahren die Anliegen der Ein-Personen-Unternehmen erstmals zum Thema der Wirtschaftspolitik gemacht. Heute fordert sie einen grundsätzlichen Kurswechsel für die soziale Sicherheit von Selbstständigen. „Jeder Mensch hat das Recht auf eine Absicherung im Notfall. Darauf müssen sich die Unternehmer:innen verlassen können – wie alle anderen auch“, sagt Bundessprecherin Sabine Jungwirth. „Dazu gehören ein Krankengeld, das ab dem vierten Tag ausbezahlt wird, und eine echte Arbeitslosenversicherung. Die Selbstbehalte gehören abgeschafft. Wir wollen außerdem, dass mindestens der erste Tausender im Monat vollkommen abgabenfrei ist. Bei so geringen Einkommen müssen die Sozialversicherungsbeiträge einfach über das Steuersystem finanziert werden. Damit hätten viele EPU monatlich mehr Geld zur Verfügung.“

Für Unternehmerinnen wie Gabi Harmtodt wäre das eine unglaubliche Erleichterung – und würde auch den Respekt vor ihrer Leistung zeigen. „Viele wissen nicht, dass die WKO-Spitze bestimmt, was in der SVS passiert. Seit mehr als 20 Jahren schaut der ÖVP-Wirtschaftsbund dabei zu, wie die Schere zwischen der Lebensrealität von uns EPU und den Leistungen des Sozialsystems immer weiter auseinander geht“, sagt Harmtodt. „Ich bin überzeugt, dass wir mehr verdient haben.“