Frauen werden in der österreichischen Wirtschaftswelt in entscheidenden Bereichen systematisch benachteiligt. Der Herrenclub in der Wirtschaftskammer entdeckt zwar gerade die wirtschaftliche Notwendigkeit des Ausbaus der Kinderbetreuung, wenn es um die Plätze an der Spitze geht, sind nur wenige für Frauen dabei.
Ohne Frauen geht nichts. In der Wirtschaft schon gar nicht. Teilnahme ja. Aber wie ist es mit der gerechten Teilhabe bestellt? Im Global Gender Gap Report, der die materiellen Unterschiede von Frauen und Männern dokumentiert, liegt Österreich in der Rangliste von 146 untersuchten Ländern nur auf Rang 47. Die Männer haben das Sagen. Die Frauen das Nachsehen, ganz wie in der Wirtschaftskammer.
Die Lücke
Auf dem Papier ist die Rechnung einfach: 47,2 % der WKO-Mitglieder sind Frauen. In manchen Sparten liegt ihr Anteil deutlich höher – im Gewerbe und Handwerk sind es sogar 57,8 %. Doch bei der Besetzung der Präsidien schlägt sich das nicht nieder. Von 66 Präsidiumssitzen in allen Wirtschaftskammern sind 41 von Männern besetzt. Der Frauenanteil liegt bei nur 26,8 %.
Deutlich ist die Ungleichheit auch an anderer Stelle: Selbstständig erwerbstätige Frauen verdienen im Durchschnitt nur 8.613 Euro jährlich und damit weniger als die Hälfte von selbstständigen Männern (19.913 Euro), sagt der Einkommensbericht des Rechnungshofs. Der Gender Pay Gap liegt bei 57 % und vergrößert sich sogar: 2020 waren es noch 50 %.
Trotz aller Widerstände erobern sich Frauen ihren Platz in der Wirtschaft. In den vergangenen zehn Jahren gingen über 55 % der Unternehmensgründungen auf das Konto von Frauen. Dennoch wird die Arbeit von Unternehmerinnen oft geringer geschätzt als die der Männer.
„Gerade im ländlichen Bereich werden Unternehmerinnen noch immer belächelt“, sagt die Salzburgerin Ingrid Hemedinger, die sich 2006 als sportwissenschaftliche Beraterin selbstständig gemacht hat. „Dass Frauen auch Leistung bringen wollen und können, wird nicht ernst genommen.“
Das ist absurd, denn viele Dienstleistungsbranchen, in denen Frauen selbstständig tätig sind, sind enorm wichtig für eine funktionierende Gesellschaft – von der Pflege über Wellness- und Gesundheitsberufe bis hin zur Gebäudereinigung. Doch die Stundensätze spiegeln das nicht wider. Frauen gründen oft in Niedriglohnbranchen, und wenn sie gleich viel verlangen wie Männer, dann „werden sie als unverschämt abgestempelt. Diese Ungleichbehandlung muss aufhören!“, sagt Hemedinger.
Frauen besitzen in Österreich weniger Vermögen als Männer und bekommen deshalb schwer Zugang zu Krediten für die Geschäftsgründung und Firmenexpansion. Deshalb bräuchte es eigens für Frauen zugeschnittene Haftungsprogramme.
Und immer noch übernehmen Frauen den Großteil der unvergüteten Care- und Familienarbeit. Einer Erhebung von Statistik Austria zufolge leisten Frauen täglich rund vier Stunden unbezahlte Arbeit. Bei Männern sind es nur knapp 2,5 Stunden. Aufs Jahr gerechnet sind das über 500 Arbeitsstunden.
Gerade die Elternschaft wird für selbstständige Frauen zur Armutsfalle. Das beginnt schon bei der Geburt. Für Unternehmerinnen ist eine Babypause ein Risiko: Auch eine kurze Auszeit kann Aufträge kosten und den Umsatz schmälern. Die Bedingungen für Wochen- und Karenzgeldbezug sind für Selbstständige unbefriedigend.
Dass sich an den unfairen Regeln nichts ändert, liegt auch an der WKO-Spitze. Harald Mahrer und Co. kennen die Lebensrealitäten der Unternehmerinnen nicht. Die Folge: Selbstständige Frauen mit geringen Einkommen werden als „Hobby-Unternehmerinnen“ verunglimpft und bei Fördermaßnahmen ausgeschlossen, etwa beim Energiekostenzuschuss. Gleichzeitig fehlen ein angemessenes Sozialsystem und eine flächendeckende Kinderbetreuung.
Aufbruch
Für die Wiener Kunsthandwerkerin Maria Schönswetter ist diese Schieflage auch eine Generationenfrage: „Die Rollenbilder ändern sich allmählich, es bewegt sich was. Heute können Unternehmerinnen, die gut ausgebildet und nicht durch unbezahlte Care-Arbeit zusätzlich belastet sind, in allen Branchen genauso erfolgreich sein wie Männer.“
Für viele Frauen, die seit Jahrzehnten selbstständig sind, kommt diese Entwicklung allerdings zu spät. Für sie hört die wirtschaftliche Benachteiligung auch mit dem Ende des Berufslebens nicht auf. Durch ihr geringeres Einkommen haben Unternehmerinnen ein viel höheres Risiko, in Altersarmut abzurutschen. Die durchschnittliche Netto-Pension von selbstständigen Frauen liegt derzeit bei nur 830 Euro. Sie erreichen damit nur knapp über 60 % der Pensionshöhe von Unselbstständigen.
„Vor allem für Frauen ab 40 ist die Pension ein Riesenthema. Viele haben Angst, in Altersarmut abzurutschen – auch Frauen, die Kinder haben. Das System des freiwilligen Pensionssplittings mit dem Partner bringt die Frauen zwischenmenschlich in schwierige Situationen und Abhängigkeiten“, sagt Schönswetter.
Neue Wege
Die Grüne Wirtschaft fordert deshalb eine grundlegende Reform des Pensionssystems. Statt eines Dschungels aus unterschiedlichen Systemen, Beitragssätzen und Sonderbestimmungen soll es eine Sockelpension und Zuschläge für Erwerbszeiten geben, sodass allen Menschen im Alter ein Leben in Würde garantiert wird.
„Für viele Frauen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, wäre das eine echte und wohlverdiente Absicherung gegen Altersarmut“, sagt Schönswetter. „Damit wissen Unternehmerinnen, womit sie rechnen können“.
Sie weiß aber auch: „Die Situation wird sich für Frauen erst dann nachhaltig verbessern, wenn sie ihrer Stimme dort Gehör verschaffen, wo die Spielregeln bestimmt werden – in der Wirtschaftskammer.“
Die Wirtschaftswelt Stück für Stück fairer machen
In den Gremien der Wirtschaftskammer sorgen die Mandatarinnen der Grünen Wirtschaft dafür, dass Hindernisse für eine faire Teilhabe von Frauen am Wirtschaftsleben überwunden werden. Einige Beispiele.
„Am Anfang standen die Zahlen: Im Gender Report des Österreichischen Filminstituts wurde 2016 erstmals belegt, wie groß die Schieflage in unserer Branche wirklich ist“, sagt die Filmproduzentin Claudia Wohlgenannt. Mit einem neuen Ausschuss für Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion und der klug gewählten Strategie, alle Fraktionen von Anfang an in die Sacharbeit einzubinden, hat sie seither viel erreicht: ein Leitfaden für Arbeitgeber:innen für den Umgang mit Fällen von Machtmissbrauch, ein umfangreiches Kinderschutzkonzept für die gesamte Filmbranche und nicht zuletzt eine Extra-Förderung für Projekte mit hohem Frauenanteil, die Teil des neuen österreichischen Filmfördermodells ist.
Solche Fortschritte sind in der schwerfälligen WKO hart erkämpft. Das weiß auch Sonja Franzke. Als sie eine überparteiliche Initiative starten wollte, um mehr Frauen für politische Funktionen in der Wirtschaftskammer zu gewinnen, erklärte ihr ein hoher Kammerfunktionär allen Ernstes, Frauen wollten einfach keine Ämter übernehmen – er und sein Parteikollege hätten schon alles versucht. „Als ich ihn kurz fassungslos angeschaut habe und dann schallend zu lachen begann, war er beleidigt“, erzählt sie schmunzelnd. Ihrer Initiative haben sich am Ende alle Fraktionen angeschlossen.
Auch Astrid Roth hat die anderen Mitglieder in ihrer Branchenvertretung überzeugt: Im Formular, mit dem die Förderung einer Veranstaltung durch die Fachgruppe beantragt wird, steht jetzt die einfache Frage: Welchen Beitrag leistet diese Veranstaltung für die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen in der Branche? „Kein Ausschlusskriterium für eine Förderung, aber ein einfaches und kostenloses Mittel zur Bewusstseinsbildung, das zum Nachdenken anregen soll, bevor der nächste Hackathon von lauter Männern für lauter Männer veranstaltet wird“, sagt die Unternehmensberaterin.