Populistische Rhetorik in Politik und Wirtschaft teilt die Welt gerne in Schwarz und Weiß ein. Das wird weder der Realität noch den Menschen gerecht.

Bei der Eröffnung der Bregenzer Festspielen kritisierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Kategorisierung der Menschen in „Normale“ und „Abnormale“ durch die ÖVP. Die empörte Reaktion folgte natürlich prompt.
Doch es stimmt: Wer die Welt und die Menschen in Schwarz und Weiß einteilt, vergisst nicht nur die vielen Schattierungen dazwischen, sondern gießt in einer ohnehin schon polarisierten Gesellschaft durch einfache Feindbilder Öl ins Feuer vieler Konflikte.

Neu ist dieses fragwürdige Stilmittel übrigens nicht. Wie oft haben wir in der Vergangenheit schon ähnlichen Kategorien gehört: die „Fleißigen“ und die „Faulen“, die „Tüchtigen“ und die „Sozialschmarotzer“, die „Leistungsträger“ und die „in der sozialen Hängematte“?

Auch in der Wirtschaftskammer nehme ich immer wieder wahr, wie Menschen aus ähnlich eigenartigen Blickwinkeln bewertet werden. In der Diskussion um fehlende Arbeitskräfte stehen dann die „Nützlichen“ den „Nutzlosen“ gegenüber – auch wenn sie (noch) nicht so benannt werden. Die einen „brauchen wir“ und die anderen „können wir nicht brauchen“.

Sichtbar wird dieses Denken auch dann, wenn der ÖVP-Wirtschaftsbund lautstark diejenigen angeprangert, die nicht mehr bereit sind, mehr als 30 Stunden pro Woche zu arbeiten und lieber nur eine Teilzeit-Stelle annehmen. Der Wunsch nach Work-Life-Balance wird als überzogene Forderung verwöhnter Bürger:innen dargestellt. Wo kommen wir da hin, wenn die Arbeitskräfte nicht mehr gewillt sind, die Arbeit in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen?

Den Menschen gerecht werden

Dabei ist es ein legitimer Wunsch, dass es im Leben auch Platz geben muss für Familie, Freundschaften und Freizeitaktivitäten. Es geht eben nicht immer nur um ökonomische Verwertbarkeit und materielle Werte.

Eine weitsichtige Wirtschaftspolitik fördert eine Wirtschaft, die den Menschen gerecht wird – und nicht umgekehrt. Wir brauchen stattdessen genau das, was die Forderung nach mehr Work-Life-Balance ausdrückt: mehr Raum für ideelle Werte wie Liebe, Freundschaft, Geborgenheit. Schließlich sind wir keine Roboter. Und genau das macht uns zu Menschen.

Sabine Jungwirth
Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft