Ein Grätzl im Grätzl sein

Grätzl-Werk-Stadt No. 58: Wie viele gute Zutaten den Kreis wirklich rund machen

©Katarina Lindbichler

Maria Schönswetter hat Penzing erkundet und Christian Alfred Kahrer besucht. Er ist nicht nur Inhaber der Kostüm-Werkstatt Wien, er hat auch einen Frisiersalon – die Werkstatt Kooperative. Was daran besonders ist? Vieles! Bei ihm gehen nicht nur Kund:innen ein und aus sondern auch viele Selbständige, denn er bietet Co-Working schon beinahe 20 Jahre an. Damit ist aber noch lange nicht alles erzählt. Wollt ihr wissen, was sonst noch so in der Spallertgasse blüht und gedeiht?

Christian Alfred Kahrer ist auch noch ein Meister der Raumnutzung und der des sparsamen Platzes. Wie wir Rohstoffe und Ressourcen immer und immer wieder verwenden können, das erfährst du nun ebenso! Wer er ist und was er so macht, das könnt ihr im Interview nachlesen und in Erfahrung bringen – oder ihr macht einfach einen Ausflug in den 14. und erkundet die Gegend.

Maria: Christian, bitte erzähle uns etwas über dich und deinen Betrieb. Wie bist du auf die Idee gekommen, dich selbständig zu machen?

© Maria Schönswetter

Christian: 2004 habe ich den ersten Co-Working Space die Werkstatt Kooperative für Friseure, Perückenmacher, Maskenbildner, Fußpfleger, Kosmetiker, Masseure, Visagisten und Stylisten gegründet. Die Intention war und ist es Menschen aller Altersgruppen einen niederschwelligen Einstieg in die Selbstständigkeit zu ermöglichen, sich auszuprobieren mit anderen, die Infrastruktur zu teilen und von den sich daraus ergebenden Synergien zu profitieren.

Gemeinsam statt einsam ist unser Motto.

Zu diesem Zeitpunkt war auch für die Hausbesitzer in Breitensee der Name Co-Working-Space noch etwas völlig Neues. In den letzten 22 Jahren ist der Begriff etwas in unserer Gesellschaft angekommen. In anderen Volkswirtschaften ist Teilen und Benützen von gemeinsamer Infrastruktur etwas Selbstverständliches und hat eine lange Tradition.

… und wie ging es weiter?

Später habe ich dann das Repertoire erweitert und die Kostüm-Werkstatt Wien gegründet.

Eine Plattform, ein Ort für Modeschaffende, aber nicht nur sondern auch für Bühnen- und Kostümbildner, Szenenbildner, Textilaffine allgemein. Ob zum Entwickeln und Produzieren oder auch zum Wissenstransfer/Unterrichten.

Unsere Räume sind vom 3D Drucker bis zu Industrie-Strickmaschinen ausgestattet. Alle Räume lassen sich individuell anpassen. Tische, Stühle, FlipChat, Beamer, und sogar ein Laufsteg im Modulsystem ist vorhanden.

Es ist für mich immer wieder spannend zu erleben, was hier alles so entstehen darf. Für meine eigenen Projekt nutze ich ebenso regelmäßig unsere Ressourcen. In der warmen Jahreszeit sind die Fenster zur Spallartgasse offen und viele Grätzl-Bewohner interessieren sich sehr für unsere vielfältige Arbeit und freuen sich, dass nach einem langen Leerstand wieder Leben in die Gasse eingezogen ist.

Das Besondere an deinem Unternehmertum ist die Vielschichtigkeit und die Verschränkungen unterschiedlicher Gewerbe und Angebote miteinander. Wie bekommst du das alles unter einem Hut und wie wird dein Konzept angenommen?

Gut würde ich spontan antworten. Eine gute Zeitplanung und viel Disziplin sind aber schon nötig. Das klingt jetzt sicher beängstigend und streng, ist es aber gar nicht. Der permanente Content-Wechsel ist das, was mir an meiner Arbeit sehr viel Freude und immer wieder neue Impulse und Energie gibt.

© Maria Schönswetter

Die Tätigkeitsfelder haben sich in 22 Jahren immer wieder verändert und erweitert. Heute darf ich ganz selbstverständlich auf einen Rucksack voller Erfahrungen und Kompetenzen zugreifen. Erlerntes aus der Schulzeit, den Jahren an verschiedenen Universitäten und dem Leben.

In meiner Tätigkeit als systemischer Coach und Organisationsentwickler kann ich so authentisch Menschen und Unternehmen ein Stück auf ihrem Weg begleiten. Als externer Beobachter mit dem Blick von oben „stoße“ ich an und unterstütze bei Prozessen und deren laufender Evaluierung.

Im Feld Berufs- und Bildungsberatung ist es das gemeinsame Herausarbeiten von Kompetenzen, was es meinen Klienten ermöglicht, ihren eigenen Weg zu finden und durch ein gestärktes Selbstvertrauen ihn auch mit klarer Vision zu beschreiten.

Aus diesem Blickwinkel heraus verlaufen auch viele Gespräche mit meinen Co-Workern oder Menschen, die sich für einen Arbeitsplatz bei uns interessieren. Das Ziel ist nicht, rasch viele „Mieter“ zu finden, sondern sie in ihren Veränderungsprozessen zu begleiten. Ganz viele entscheiden sich letztendlich für einen anderen Weg. Oft sind die Konzepte noch nicht ausgereift und / oder das Unternehmerprofil bedarf einer Nachschärfung.

Mit wie vielen Unternehmer:innen arbeitest du im Grätzl zusammen?

Das ist ganz unterschiedlich. Aber auch hier ist der Radius größer als die gedachte Grätzlgrenze. Vieles was bei uns produziert wird, verlässt das Grätzl wieder. Was ganz wichtig ist, wir haben noch ein Postamt ums Eck!

© Maria Schönswetter

Du hast eine Kostümwerkstatt, einen Frisiersalon und viel mehr. Du bietest anderen Unternehmer:innen an, sich bei dir einzumieten, sich von dir beraten zu lassen, sich von dir „einkleiden“ zu lassen und du stattest Theaterstücke aus. Es wirkt so, als würde das Grätzl bei dir ein- und ausgehen. Wie viel Grätzl nimmst du in der Gegend wahr und wie nimmt dich das Grätzl wahr im Gegenzug dazu?

Eigentlich ohne mein bewusstes Zutun bin ich bekannt geworden in unserem Grätzl. Mir war meine direkte Umgebung immer schon recht wichtig. Ich durfte in Niederösterreich aufwachsen und da sind die örtlichen Strukturen viel kleiner als in einer Stadt mit über einer Million beheimateter Menschen.

Spätestens durch unsere allmonatlichen Flohmärkte wurden wir hier bekannt. Wir kennen ganz viele Menschen, die in der Gasse oder den angrenzenden Gassen / Straßen leben. Wir tauschen uns aus, plaudern über was gerade in unseren Baumscheiben blüht und erfreuen uns der Natur vor unserer Haustüre. Mir ist auch aufgefallen, dass ganz viele jetzt, viel mehr auf die Spallartgasse achten. Sie ist ein gemeinsamer, bewusster Lebensraum geworden.

Eine besondere Beziehung habe ich zu unseren vierbeinigen Nachbarn. Es erfreut mich immer, wenn sie mich auf ihrem Weg zur Hundezone besuchen kommen. Ich träume immer von einem eigenen Hund, aber meine unregelmäßigen Arbeitszeiten lassen es im Moment noch nicht zu.

Du engagierst dich für einen besseres Flair in deiner Gasse und pflegst Baumscheiben. Worin besteht deine Gartenarbeit und was pflanzt du an?

Die beiden Baumscheiben sind direkt vor unserer Türe und haben keinen sehr einladenden Anblick geboten.

Es ist mir ein Anliegen, „meine“ Welt schön zu gestalten. Das Gestalten von Welten/Räumen habe ich ja auch zu meinem Beruf gemacht. Der professionelle Zugang zur Botanik kommt durch meinen Quellberuf.

Immer mehr Nachbarn übernehmen nun die Patenschaft für Baumscheiben, sind unserem Beispiel gefolgt. Was uns schon sehr freut, dass wir hier die Trendsetter waren.

Nach dem Anlegen, sprich gut 20 cm hoch Erde aufbringen und diese mit dem Mutterboden verbinden, dem Pflanzen von Einfassungen und einem Zentrum – geht es heute mehr um Form- und Rückschnitt. Die Flächen sind nicht zu groß und es müssen die Grenzen der Einfassungen gewahrt werden. So sieht es auch die Vereinbarung mit dem Land Wien als Grundeigentümer vor.

Bei der Auswahl der Gehölze war mir wichtig, dass immer etwas blüht. Es gibt Winterblüher, Zwiebelpflanzen, die zeitig im Frühling das neue Gartenjahr einläuten, Frühjahr-, Sommer- und Herbstblüher. Viel Futter für unsere emsigen Stadtbienen und all die anderen Insekten, die sich den urbanen Raum mit uns teilen. Die meisten Sträucher habe ich selber als Stecklinge gezogen und so den CO2 Fussabdruck verkleinert.

Dein Fundus an gebrauchten Waren und Material ist riesig. Wieso ist dir das Arbeiten mit gebrauchtem Material so wichtig und woher bekommst du dieses?

Eigentlich ist es so selbstverständlich für mich, dass ich darüber nie nachdenke. Etwas Bestehendes zu reparieren/restaurieren, zu erhalten und oder in etwas Neues zu integrieren bzw. etwas Neues entstehen lassen, ist doch das Älteste überhaupt. Unsere Vorfahren hatten immer einen eingeschränkten Zugang zu Ressourcen und Rohstoffe wurden so lange verwendet, bis nichts mehr übrig war … (lacht)

Mit diesem Zugang zur Kreislaufwirtschaft durfte ich aufwachsen und erst später wurde mir klar – was für ein Privileg! In den 80ern hat die Benennung dafür noch gefehlt. Upcycling, Recycling etc. aber auf die Benennung kommt es an!

© Maria Schönswetter

Was braucht es deiner Meinung nach für Strukturen, um Kreislaufwirtschaft attraktiver zu machen?

Ein möglicher Ansatz könnten die Rohstoffe sein. Rohstoffe sollten wieder einen Wert bekommen – Rohstoffe waren immer wertvoll, da müssen wir wieder hin. Das wäre ein erster Schritt. Dann wird automatisch mehr wiederverwendet oder bleibt länger in Verwendung. Eine Weiterentwicklung unserer momentanen Rohstoffkreisläufe und Verarbeitungsmethoden hat direkte Auswirkungen auf unser Pensionssystem und auf die Sozialversicherungsträger. Ebenso für das private Versicherungswesen, unser westliches Steuermodel eingeschlossen. Speziell wenn Tauschbörsen sich mehr bei uns etablieren. Der Tisch, an dem über »andere« Wirtschaftsmodelle diskutiert wird, muss größer werden. Das wäre mir ein großes Anliegen, dass hier rasch Bewegung reinkommt.

Es gibt keinen anderen Planeten als Option zum Auswandern.

Seit wann bist du selbständig und was hat dich zu diesem Schritt bewogen?

Am 1. Oktober 2001 habe ich mich selbstständig gemacht. Damals habe ich noch studiert und es war einfacher für mich so mein Studium zu finanzieren. Ich war nicht mehr an Kernzeiten eines Dienstgebers gebunden. Seit dieser Zeit schätze ich Projektarbeit. Sie ist ein fixer Bestandteil meines Berufslebens geworden.

»Meinen« Weg zu gehen, war wohl schon immer tief in mir verwurzelt. Durch die Unterstützung meines Umfeldes konnte ich diesen Weg auch finden, erkunden und bis heute gehen.

Noch immer ist in Österreich die Hemmschwelle zur Selbstständigkeit in vielen Bereichen zu hoch. Ob in den kommenden 100 Jahren das Verhältnis Unselbständig-Selbstständig so bleiben wird – davon bin ich nicht überzeugt. In anderen Volkswirtschaften ist es jetzt schon so, dass Dienstleistungen auf „Rechnung“ eingekauft werden.

 

Das Interview führte Maria Schönswetter von der Grünen Wirtschaft mit Christian Alfred Kahrer von der Kostüm-Werkstatt Wien & Werkstatt Kooperative