Ein paar Gedanken über Sinn und Unsinn von Lastenrädern von Guido Schwarz

Sie sind ziemlich teuer, ziemlich unhandlich und ziemlich Bobo.
Auf der anderen Seite sind sie ziemlich praktisch, ziemlich modern und ziemlich umweltfreundlich.

Ach ja: Es werden ständig mehr. Und das ist kein Zufall und auch keine Modeerscheinung. Und sie passen ins Grätzl, wie sonst wohl nur wenig anderes.

Sie stehen in jedem Fall für moderne Mobilität: umweltfreundlich, smart, vielseitig nutzbar, zumindest großteils reparierbar und vor allem platzsparend, nämlich im Verhältnis zum Pkw, sowieso zum SUV.

Es gibt jede Menge verschiedener Typen und Ausführungen, mit zwei oder drei Rädern, manche sogar mit vier.

Einer der interessantesten Faktoren ist ihre Familienfreundlichkeit. Lastenräder werden gerne und oft benützt, um Kinder herumzuführen.

Sie brechen damit gleich mehrere gesellschaftliche Normen, die in folgenden Glaubenssätzen sichtbar werden:

1.) Kinder müssen mit dem Auto in den Kindergarten bzw. in die Schule geführt werden, weil der Schulweg a.) zu gefährlich und b.) zu unbequem ist.

2.) Fahrräder sind nur was für Arme/Linke/Spinner/Alternative bzw. Grüne.

3.) Für Transporte braucht man ein Auto.

Der wohl spannendste Aspekt daran ist, dass Lastenräder mit diesem Bruch vollkommen entspannt umgehen. Sie sind einfach da, werden immer mehr, erfüllen ihren Zweck und brechen einfach die Norm. Das wird von den Propheten der alten Norm natürlich als Frechheit, wenn nicht sogar als Sakrileg empfunden und entsprechend lautstark kritisiert und bekämpft.

Am besten wäre es, wenn man sie verbieten könnte. Sie stören den ungebremsten Verkehrsfluss der Autofahrer:innen und somit deren scheinbar frei gewählte Mobilitätsform, die sie als Grundrecht empfinden. Sie stören aber auch die Ästhetik, denn sie sind sichtbar, sozusagen ein Dorn im Auge der Spießer. Man kann sie nicht übersehen und das ist das Problem. Ihre Sichtbarkeit, ihre Präsenz, ständig größer und sichtbarer werdend, ständig präsenter, beleidigt die eigene Identität, die so vollständig und über Jahrzehnte unhinterfragt erfolgreich aufgebaut und liebevoll gehegt und gepflegt wurde.

Einmal in der Woche wurde und wird sie sogar tatsächlich gepflegt, beim liebevollen Waschen, Polieren und Streicheln der eigenen, durch harte Arbeit erworbenen Limousine, ständig vor der Haustür sichtbar oder kuschelig in der Garage wartend.

Diese Ikone des eigenen Erfolgs, des gesellschaftlichen Wohlstands, dieser Gradmesser des eigenen sozialen Standes, all das wird quasi im Vorbeirollen angepinkelt, beschmutzt und – noch schlimmer – lächerlich gemacht.

Lastenräder lassen die alten Glaubenssätze immer älter aussehen.

Ein gutes Beispiel ist die Firma »Neubauer Moden« auf der Währinger Straße im 18. Bezirk. Sie haben vor ein paar Jahren ihren Lieferwagen verkauft und transportieren jetzt die Ware zwischen ihren beiden Filialen (die zweite ist in der Innenstadt) mit dem Lastenrad. Das funktioniert hervorragend und sie können sich den Transport mit dem Auto gar nicht mehr vorstellen. Wir sind hier übrigens beim nächsten, gänzlich überholten Glaubenssatz, nämlich dass Lastenräder nicht fürs Gewerbe geeignet sind.

Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel ist das Bestattungsunternehmen »Memoria«, zu dessen ökologischer Bestattungskultur mit Bio-Fair-Trade-Särgen auch der letzte Weg mittels Urnen Fahrrad gehört.

Am meisten weh tut wohl, dass sich die emotionalisierten Gegner:innen der Lastenräder durch die etwas hilflos wirkenden Gegenmaßnahmen (mit laut aufheulendem Motor knapp überholen, schimpfen, böse Leserbriefe an Autofahrerclubs schreiben etc.) selbst lächerlich machen.

Das ist das Smarte an der modernen Mobilität: Sie muss nichts beweisen, so wie Kinder nicht beweisen müssen, dass sie die Eltern überleben. Sie tun es einfach.

Das Alte zeigt alle Formen des Altwerdens, es wirkt jeden Tag immer gestriger, fast schon etwas liebevoll belächelt in seinem hilflosen Versuch immer noch modern zu wirken. Und es tut einem fast leid in seiner Unfähigkeit sein Gestrigsein würdevoll anzuerkennen. Die einzigen, die das schaffen, sind die Oldtimerfahrer:innen mit ihren ebenfalls liebevoll gepflegten Gefährten. Sie haben verstanden und akzeptiert, dass ihre Mobilitätsform von gestern oder vorgestern ist, stellen sich nicht gegen das Neue und wollen nur den ihnen zustehenden Platz, den sie dafür auch bekommen. Bei Oldtimertreffen wird nicht protestiert, sondern freundlich gewunken.

Den eigentlichen Siegeszug haben die Lastenräder jedoch erst durch die Elektrifizierung starten können. Die modernen Motoren und Akkus erlauben kraftvolle Unterstützung und egalisieren den größten Nachteil der Lastenräder, nämlich den notwendigen, großen Kraftaufwand in jeder Topographie, die nicht Holland heißt.

Die Notwendigkeit des Transports von Dingen und Menschen wurde bisher alleinig vom Auto gewährleistet – siehe obige Norm.

Moderne Lastenräder können bis zu 400 kg (oder sogar noch mehr) transportieren und das über Entfernungen, die alle »üblichen« Distanzen innerhalb der Stadt, abdecken, wir reden hier von einem Radius von 500 Metern bis ca. fünf Kilometern. Fast jede Form des Einkaufs kann mit ihnen erledigt werden und manche lassen sich sogar ziemlich sportlich fahren.

Diese Räder sind natürlich nicht mehr klein und brauchen ihrerseits auch Platz, zwar nicht so viel wie ein normaler Pkw, aber locker so viel wie z. B. ein Smart. Sie sind nur smarter, weil sie sehr viel können ohne den Ressourcenverbrauch eines Autos.

Wenn allerdings zwei Personen bei Regen oder kalten, winterlichen Bedingungen von A nach B müssen, ist der Smart als Auto überlegen.

Das Lastenrad wird übrigens auch in Zukunft nicht alle Transporte von Familien übernehmen können, ihm sind ebenso technische Grenzen gesetzt wie allen anderen Technologien. Es verlangt eine gewisse Geschicklichkeit und Sportlichkeit, und zwar sicher mehr als das Auto, in das ich mich hineinplumpsen lassen kann, auch wenn ich die 100kg-Grenze punkto Eigengewicht längst überschritten habe.

Lastenräder haben Grenzen, etwa bei wirklich langen Distanzen oder bei schlechter Witterung. Ihr größter Feind ist die Bequemlichkeit und gegen ihn sind sie ziemlich machtlos. Es gibt Gelegenheiten, bei denen nur wirklich abgebrühte Radler:innen das Fahrrad benützen – egal in welcher Form.

Das kann man nicht von allen Menschen verlangen und wer das tut, macht sich wohl zu Recht eines gewissen Fanatismus verdächtig.

Es geht daher nicht darum, alle Autos durch Lastenfahrräder zu ersetzen, sondern dies dort zu tun, wo es intelligent ist. Spätestens bei der nächsten Ölkrise wird sich die Stärke ressourcenschonender Technologien nicht mehr verleugnen lassen. Dann wird der Fahrer des Range Rover mit seinem 500 PS starken 8-Zylinder-Motor der Spinner sein und sich deutlich jenseits der Norm befinden.

Dies wird aber erst dann sichtbar, wenn es gesellschaftlich nicht mehr als Statussteigerung gilt, wenn man ein möglichst großes, möglichst starkes und möglichst teures Auto hat. Die Zeiten der Kontaktanzeigen, in denen die Männchen versucht haben, ein Weibchen mit den Worten »eigener Pkw« anzulocken, sind jetzt schon ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert.

Der eigene Pkw ist es eigentlich auch schon, denn das Lastenrad hat keine Hutablage. Es wird seinen Siegeszug nicht mehr abbrechen, sondern in ständiger Weiterentwicklung eine Nische nach der anderen füllen, demnächst zum gewohnten Stadtbild gehören, eine eigene Infrastruktur bekommen und nach einiger Zeit die neue, vielleicht wichtigste Form und Norm der Mobilität werden.

So traurig es wirkt, der Klimawandel begünstigt den Einsatz von Lastenrädern. Wien hat jetzt schon das Klima von Mailand vor 30 Jahren, die zwei Wochen Schnee und Glatteis sind längst kein Argument mehr gegen das Radfahren, die bergige Topographie ist es auch nicht und durch die entsprechenden Förderungen werden die Lastenräder auch leistbar.

 

Der leichteste Zugang zu Lastenrädern entsteht durch das Staunen.

Der Autor dieser Zeilen hat das erlebt, als er eine komplette Karosserie eines alten Vespa-Motorrollers quer durch Wien zum Spengler transportieren musste. Bis dahin ein klarer Fall für das Auto, aber es ging problemlos mit dem Lastenrad. Der zweite, der dann gestaunt hat, war der Spengler, als er die verrückt wirkende Fuhre gesehen hat und ihm die Tschick aus der Pappn gefallen ist (siehe Bild).

Die meisten Menschen, die so ein Staunen erlebt haben, wurden Fans dieser modernen Mobilität. Das führt dazu, dass es immer mehr Lastenräder gibt, und das nicht nur in der Innenstadt.

Lastenräder können nicht alles, Aber all das, was ein Lastenrad nicht leisten kann, werden andere Mobilitätsformen übernehmen. Eine davon wird das Auto sein, das es auch noch in Zukunft geben wird. Als Nischenprodukt, so wie es das Lastenrad heute eines ist.