Ein Beitrag aus unserer Blogreihe »Zukunftsfähig Wirtschaften«

Wirtschaft ohne Wachstum

Stefan Schleicher, Foto: wifo

Eine Wirtschaft ohne Wachstum? Geht das überhaupt?

Ein Vortrag des Umweltökonomen Stefan Schleicher

Unsere Wirtschaft ist reparaturbedürftig. Ein Wirtschaftssystem, das auf ständiges Wachstum und Konsum aufgebaut ist, verursacht die drohende Klimakatastrophe. Reicht es aus, zur Bewältigung dieser Krise, konsequent auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und eine Verkehrswende – also auf »grünes« Wachstum zu setzen? Oder braucht es nicht vielmehr eine Ökonomie und eine Gesellschaft des »Weniger«, des Verzichts, in denen mehr repariert und geteilt wird, und in denen Lebensqualität in Zukunft anders gemessen wird? Wäre es denkbar, dass mit Kurskorrekturen der schwerfällige Tanker Wirtschaft doch auf einen weniger belastenden Kurs zu bringen wäre?

Diesen Fragen widmete sich Stefan Schleicher in seinem Vortrag auf Einladung der Grünen Wirtschaft.

Ausgangslage: Wir erleben gegenwärtig multiple Krisen, die großen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben.

1. Die Ukraine-Krise – Bedrohung, Zerstörung und Aufrüstung

Diese Krise bedeutet das Ende der Friedensdividende von 1989. Ressourcen, die bis dahin der Aufrüstung und Verteidigung dienten, konnten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für andere Güter verwendet werden. Heute bedeutet diese Krise eine massive Erhöhung des Wirtschaftswachstums: die bisherigen Schäden in der Ukraine liegen in der Höhe des BIP eines Jahres von Österreich. Die NATO startet ein massives Aufrüstungsprogramm. Auch damit erhöht sich das Wirtschaftswachstum. Ob das wohlstandsvermehrend ist, sei dahingestellt.
Wir nehmen jetzt auch immer mehr wahr, dass es einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Vermögen und wirtschaftlichen Umsätzen (BIP, Einkommen) gibt. Uns ist es wichtiger, dass wir gesund sind, nicht wieviel wir für Gesundheit ausgeben. Wenn Vermögen zerstört werden, brauchen wir wieder umso mehr Umsätze, um diese wieder aufzubauen. Viele unserer wirtschaftlichen Aktivitäten sind damit Reparaturaufwendungen. Wir befinden uns auch jetzt in einer Situation, in der wieder Bereiche wachsen müssen, die wir eigentlich vermeiden möchten (Militär, Sicherheit, sog. Regrebitles)

2. Die Corona-Krise – Der Beginn einer Veränderung des Wirtschaftsstils

In der Corona-Pandemie wurden bisher sehr viele Mittel in die Schadensbegrenzung gesetzt, rund 12 % des Jahres-BIP wurde für Corona-Hilfen ausgegeben, mit Folgen für die Verschuldung des Staates. Die Bewältigung der Corona-Pandemie war/ist ein Experiment, wie Veränderungen wirtschaftlicher Aktivität aussehen könnten. Andere Organisationsformen waren denkbar, wie beispielsweise Home-Office. Wir sehen auch, dass weniger wirtschaftliche Aktivität nicht immer Wohlstandsverlust bedeuten muss. Schleicher verweist hier auf die Reduktion von Zwangsmobilität, die zwar zu weniger wirtschaftlicher Aktivität führte, aber auch positive Effekte hatte.

3. Die soziale Krise – Niedrige Einkommen, teures Wohnen, Mobilität, Essen

15 % (1,291 Mio. Personen) der österreichischen Bevölkerung haben ein Einkommen unter der Armutsschwelle, die bei 1.371 € (12 mal pro Jahr für Einpersonen-Haushalt) liegt.

Weiters besitzen die obersten 5 Prozent beinahe die Hälfte des gesamten Vermögens, während die untersten 50 Prozent gemeinsam bloß 4 Prozent besitzen. Aus Sicht Schleichers wird die soziale Frage viel zu wenig thematisiert, wenn es um die kommenden Transformationsprozesse geht.

4. Die Globalisierungs-Krise – Störungen durch Hyperglobalisierung

Schleicher verweist hier auf die technologische Abhängigkeit von Asien. Nicht nur bei Chips und seltenen Erden, sondern auch im Bereich der Forschung, wie Künstliche Intelligenz, Robotik etc. befindet sich China auf der Überholspur. Die extreme globale Produktionszerlegung sowie der (Wirtschafts-)Konflikt China – USA führen zu einem Verlust an Resilienz: wir sind gefährdet, oft auch schon durch kleine Schocks.

5. Die Klima-Krise – Ziele sind außer Sicht geraten

Pariser Klimazielweg

Wir stehen beim Treibhausgasausstoß dort, wo wir vor 30 Jahren standen. Aber in nur 18 Jahren wollen wir in Österreich Klimaneutralität erreichen.

Herausforderungen: Welche wirtschaftlichen Aktivitäten sollen wachsen, welche zurückgehen?

1. Reduktion der kontraproduktiven Wirtschaft

Diese Grafik veranschaulicht die gewaltigen Anstrengungen, die notwendig sind, um in den einzelnen Sektoren Klimaneutralität zu erreichen. Wenn wir es schaffen, alleine den PKW-Verkehr klimaneutral umzubauen, dann haben wir von den 18 Jahren nur 4 Jahre gewonnen. Der gesamte Umbau der Industrie – eine riesen Aufgabe – bringt gerade einmal 6 Jahre.

Reduktionsbedarf Emissionen

2. Der EU Green Deal – spurenlos in Österreich?

Schleicher begrüßt den European Green Deal, ein von der Europäischen Kommission 2019 vorgestelltes Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der EU die Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Dieser sei eine Frischzellen-Therapie für Europa, der allerdings von der Politik in Österreich kaum wahrgenommen werde. Das sei ein großes Versäumnis. Außerdem wird Österreich aus dem EU Wiederaufbauplan mehr als 3 MRD € bekommen, auch dieser sollte kein Instrument zum Stopfen von Budgetlöchern sein. Das sei nicht im Sinne des Green Deal.

Chancen: Es gibt viel Gutes zu entdecken – z.B. Kate Raworth

Schleicher verweist hier auf die »Donut-Ökonomie« der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth. In ihrer Theorie geht sie von einer Ökonomie aus, die von einer Reihe planetarer und sozialer Gegebenheiten eingegrenzt wird. Zu den planetaren Grenzen zählen das Klima, Atmosphäre, Artenvielfalt, Luftgüte, Wasser etc. Diese Grenzen dürfen nicht überschritten werden. Zu den sozialen Grenzen zählen Bereiche wie Gesundheit und Bildung. Bei diesen Grenzen darf es kein Defizit geben. Der in Form eines Donuts visualisierte Handlungsspielraum für wirtschaftliches Handeln ergibt sich durch diese Grenzen. Raworth stellt in ihrem Buch, die Einhaltung des durch den Donut definierten Bereichs in der Donut-Ökonomie als alternative Zielvorgabe der bisherigen Zielvorgabe eines Wachstums des Bruttoinlandsproduktes in der traditionellen Wirtschaft gegenüber. Wir haben Bedarf an Funktionalitäten, wie Gesundheit, Wohnen, Bildung, sozialem Frieden usw., diese sind wohlstandsrelevant. Unser Interesse sollte daher vielmehr diesen Funktionalitäten gelten und nicht dem Bip oder Umsätzen.

Dieses Modell bietet neue Möglichkeiten. Anstelle von Steigerungen des Bip müssen wir darauf achten, im zulässigen Bereich der planetarischen Gegebenheiten zu bleiben. Wir müssen von einem einfachen mechanistischen Denken, wie Angebot und Nachfrage, wegkommen, hin zu einer Ökonomie, die eingebettet ist in die komplexen Zusammenhänge von Nutzung der Resourcen, wie wir produzieren, wie neue Kreisläufe entstehen können. Wir müssen uns auch mehr mit den Einkommen beschäftigen und uns davon verabschieden, dass Wirtschaftswachstum die Einkommensschere verkleinern würde. Kreisläufe müssen geschlossen werden, es sollte keine Abfälle mehr geben.

Innovationen: Das Quartier Suurstoffi – Ein neues Verständnis für innovative Bauten und deren Nutzung

Das Quartier Suurstoffi ist ein 16 Hektar großes aufgegebenes Industriegelände, das sich durch innovative Bautechnologien und innovative Energiekonzepte auszeichnet. Nahezu alle Funktionalitäten wie Wohnen, Arbeiten, Kindergarten und andere Tätigkeiten können in Gehdistanz erreicht werden. Hochinteressante Energiekonzepte ermöglichen es, dass das Quartier energetisch weitgehend autark ist. Anlagen für solare Elektrizität und Wärme sind in die Gebäude integriert. Neu sind Anergie-Netze, bei denen ein Nieder-Temperatur-Wärmenetz Abwärme rezykliert und mit Wärmepumpen vernetzt. Erdspeicher sind die Batterien für Wärme im Winter und Kühlen im Sommer. Dieses Beispiel muss im Neubau der Standard werden, um die Klimaziele bis 2040 zu erreichen.

Politik: Zeit für Business as un-usual – Wechsel in den Krisenmodus

Für die Politik muss es, um die Klimaziele zu erreichen, No-Goes geben. Dazu zählen die Erhöhung der Pendlerpauschale, die Senkung der Energieabgabe sowie ein undifferenzierter Energiekostenausgleich. Und die Politik muss proaktives Krisenmanagement und Krisenkommunikation betreiben. Wir werden uns vom alten Wohlstandsmodell verabschieden müssen und uns auf gravierende Störungen vorbereiten.
Schleicher rechnet mit einem Embargo von Öl und / oder Gas, das entweder von Russland oder der EU kommen wird. Gravierende Einkommensverluste sind dabei zu erwarten. Wobei das noch nicht heißen muss, dass wir gravierende Wohlstandsverluste bekommen werden.

Fazit: Suchen nach einem zukunftsfähigen Mindset – Enabler für Innovationen

Wir brauchen Experimente mit Signalwirkung, wie z.B. innovatives Bauen (Schleicher verweist hier auf den MedCampus in Graz). Nahezu alle Bereiche müssen einer Frischzellentherapie unterzogen werden. Erforderlich ist auch neues Verständnis von Wohlstand. Hier müssen wir uns Gedanken machen, in welchen Bereichen es wichtig ist, dass Wachstum erhöht, in welchen reduziert wird? Auch wird es gesellschaftliche Debatten darüber geben müssen, welche Funktionalitäten wohlstandsrelevant sind.

Stefan Schleicher ist überzeugt, dass in der Bilanz die Umsätze vorerst weiter steigen werden, solange bis die gesamte Infrastruktur (Verkehr, Wohnen etc)  klimaneutral umgebaut ist. Er meint abschließend, dass wir in vielleicht 30 Jahren soweit sein können, dass die Umsätze relativ konstant bleiben, aber Wohlstand weiter wachsen wird.

Helene Zand, im Mai 2022

Links:

Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz. https://stefan.schleicher.at/wp-content/uploads/2019/01/SchleicherStefan_CV_de.pdf

Vortrag von Stefan Schleicher anläßlich der Veranstaltung »Eine Wirtschaft ohne Wachstum? Geht das überhaupt?« vom 3. Mai 2022 hier zum Nachhören und -sehen: https://www.youtube.com/watch?v=XGXa6X5_lZk

Die Armutskonferenz: https://www.armutskonferenz.at/

Armutsbetroffene und die Corona-Krise. Eine Erhebung zur sozialen Lage aus der Sicht von Betroffenen: https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:e655d53a-0349-4c10-a8e8-88bf1de9f4ca/BMSGPK_Armutskonferenz.pdf

Stimmen gegen Armut. Weil soziale Ungleichheit und Ausgrenzung die Demokratie gefährden: https://www.armutskonferenz.at/publikationen/publikationen-der-armutskonferenz/armutskonferenz-2020-stimmen-gegen-armut-buch-zur-12-armutskonferenz.html

Raworth, K. (2018). Die Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört.

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Quartier Suurstoffi: https://www.suurstoffi.ch/home