Ein Beitrag aus unserer Blogreihe »Zukunftsfähig Wirtschaften«
Wie ist das heutzutage noch möglich – Altersarmut?
In Österreich leben wir in einem reichen Sozialstaat, trotzdem steigt die Anzahl der Menschen, die in Armut leben oder armutsgefährdet sind. Unter ihnen ist der Anteil an älteren Menschen mit mehr als einem Drittel besonders hoch. Dabei gilt als armutsgefährdet wer aktuell in einem Einpersonenhaushalt lebt und weniger als 1371 Euro im Monat zur Verfügung hat. Bei einem Zwei-Personen Haushalt liegt die Grenze aktuell bei 2057 Euro pro Monat.
Im Jahr 2021 waren 1,5 Millionen Menschen in Österreich und damit 17 % der österreichischen Bevölkerung armutsgefährdet und davon rund 232.000 Personen über 65 Jahren. Allein davon waren 157.000 Frauen betroffen, das bedeutet, dass ein Viertel der österreichischen Pensionistinnen armutsgefährdet ist. Mit 75.000 betroffenen Männern war der Anteil mit 14 % weitaus geringer.
Armutsfalle Kindererziehung und Altenpflege
Woran liegt es, dass Frauen so überproportional von Altersarmut betroffen sind? Wobei an dieser Stelle angemerkt werden soll, dass es insgesamt eine Schande ist, dass auch nur ein Mensch in Österreich von Armut betroffen ist. Frauen sind durch unser aktuelles Pensionssystem massiv schlechter gestellt, da der Durchrechnungszeitraum für die Bemessung der Pension mit der Pensionsreform 2003 auf alle Beitragsjahre ausgeweitet wurde. Das bedeutet, dass auch Zeiten, in denen Frauen in Karenz und später in Teilzeitarbeit tätig sind, und entsprechend weniger verdienen, herangezogen werden, weil sie unbezahlte Arbeit in Form der Kinderbetreuung und später Pflegetätigkeit für ältere Angehörige leisten. Diese wichtigen gesellschaftlichen Tätigkeiten werden aktuell nur unzureichend bis gar nicht honoriert und kosten auf der anderen Seite wertvolle Beitragsjahre für die eigene Absicherung in der Pension.
Bürokratische Hürden
Speziell Unternehmerinnen sind gefährdet, da sie allein für die Beiträge in die Sozialversicherung verantwortlich sind und sich nicht auf Einzahlungen von Arbeitgeber:innen verlassen können. Der Sozialstaat sieht zwar diverse Beihilfen und Ausgleichszahlungen vor, die die Armut mildern sollen. Dafür müssen jedoch Anträge gestellt werden, es wird also eine bürokratische Hürde eingebaut, die es vielen Betroffenen erschwert oder gar ohne Unterstützung durch etwa Angehörige unmöglich macht, die entsprechenden Unterlagen einzureichen. Ein weiterer abschreckender Faktor ist, dass Menschen, die auf diese Hilfe dringend angewiesen sind, zu Bittsteller:innen gemacht werden und sie dazu bringt, die dringend benötigte Unterstützung erst gar nicht in Anspruch zu nehmen und doch zu versuchen, mit einer minimalen Pension irgendwie über die Runden zu kommen.
Inflation verschärft die Situation
Die aktuelle Situation, in der sich die Menschen in Österreich mit einer Inflation im ersten Quartal 2022 von 5,6 % und im März 2022 sogar 6,7 % konfrontiert sehen, betrifft gerade ohnehin armutsgefährdeter Menschen in besonderem Ausmaß, da sie einen Großteil ihres Einkommens für Energie, Lebensmittel und Mieten aufwenden müssen, wo die Preissteigerungen noch drastischere Ausmaße angenommen haben. Die Sozialleistungen werden nicht an die Inflation angepasst, somit wird die Belastung armutsgefährdeter Menschen überproportional größer.
Es ist höchste Zeit, dass Maßnahmen ergriffen werden, um Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, einen Ruhestand in Würde zu ermöglichen, ohne existentielle finanzielle Sorgen und ohne sie zu Bittsteller:innen zu machen.
Mögliche Maßnahmen könnten beispielsweise die Schaffung einer Mindestpension in Höhe von zumindest der Armutsgefährdungsgrenze sein, die unabhängig von gesammelten Beitragsjahren jeder und jedem zusteht. Denkbar ist etwa auch die automatische Zusendung einer Senior:innenkarte an alle Mindestpensionenbezieher:innen, die damit Vergünstigungen im öffentlichen Verkehr oder im Kultur- und Freizeitbereich beanspruchen können und somit weniger von sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Wichtig ist, dass hier ein Automatismus geschaffen wird, der es den Menschen erspart, zu Bittsteller:innen werden zu müssen, um überleben zu können. Gleichzeitig ist es wichtig, den Menschen bewusst zu machen, dass das Pensionssystem sich immer stärker in Richtung einer Grundabsicherung bewegt und Menschen, die die finanziellen Möglichkeiten haben, privat vorzusorgen, das auch dringend tun sollten.
Vera Haberfellner, im Mai 2022
Links:
Vera Haberfellner ist Finanzberaterin und Fachberaterin für nachhaltiges Investment. Sie zeigt Möglichkeiten auf, wie man/frau ihren finanziellen Fußabdruck ökologisch, sozial und ethisch nachhaltig gestalten können. https://www.finum.at/berater-finden/mag-vera-haberfellner/
https://www.armutskonferenz.at/
file:///C:/Users/VeraHaberfellner/Downloads/Inflation-aktuell_Q1-2022.pdf