Mit den zwei Rücktritten ist die Affäre um den ÖVP-Wirtschaftsbund nicht vom Tisch. Auch der interimistische Kammerpräsident Wilfried Hopfner versucht, die missbräuchliche Verwendung von Mitgliedsbeiträgen kleinzureden. Für einen glaubwürdigen Neuanfang fehlt ein klares Bekenntnis zum Bruch mit der Vergangenheit, meint Wolfgang Pendl, ehemaliger Landessprecher der Grünen Wirtschaft.

Die Kammer verspielt gerade ihre Chance auf einen Neuanfang

Dass der ÖVP-Wirtschaftsbund genau gegenüber der Wirtschaftskammer residiert, ist kein Zufall: Seit der Gründung der Kammer nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Wirtschaftsbund das alleinige Sagen in der Kammer, abgesichert über eine Einheitsliste mit FPÖ und SPÖ. Dabei blieben nicht nur demokratische Grundsätze auf der Strecke, sondern auch ethische: Der Wirtschaftsbund bediente sich freimütig aus Geldern der Kammer.

1988 wurde die Media-Team gegründet. Der damalige Wirtschaftsbund-Direktor Walter Natter verdiente ab diesem Zeitpunkt an jedem Inserat mit, das in der Wirtschaftskammer-Zeitung geschaltet wurde. 2013 beteiligte sich Russmedia, 2018 übernahm der neue Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler knapp die Hälfte der Anteile.

Parallel entwickelte der ÖVP-Wirtschaftsbund sein eigenes Magazin zum Instrument verdeckter Parteienfinanzierung. Dessen Hauptzweck: Geldbeschaffung über Inserate, sowohl von Wirtschaftskammer-Fachgruppen als auch von landeseigenen Gesellschaften, dazu von vielen Industrie- und Gewerbebetrieben.

Seit 1988 also seit mehr als 30 Jahren  wussten sämtliche führenden Funktionär:innen der Wirtschaftskammer über die Verbindungen Bescheid und sahen kein moralisches Problem, Mitgliedsbeiträge über Inserate an die Partei weiterzureichen. Jene, die ein moralisches Problem sahen, wurden bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt.

2010 machte die Grüne Wirtschaft diese unlautere Praxis öffentlich. Als einzige Oppositionspartei in der Kammer hatte sie das System der Einheitslisten aufgebrochen und leistete demokratische Kontrolle. Pressekonferenzen, Landtagsanfragen, Anträge an das Wirtschaftsparlament blieben ohne Wirkung: Die Landes-ÖVP verteidigte das lukrative System, die Vorarlberger Medien berichteten kaum.

Jene Vorgänge, die nun im ÖVP-Untersuchungsausschuss im Bund ans Licht kamen, zeigen, wie sicher sich die Akteure fühlten: zinsloses Darlehen für den Direktor, private Lebensversicherung und günstiges Auto zur Pension für seinen Vorgänger. Eine Buchhaltung ohne Belege, eine große Kaffeekassa für Funktionär:innen.

Die Rücktritte von Jürgen Kesslerund Präsident Hans-Peter Metzler waren in dieser Situation unausweichlich. Sie sind allenfalls erste Schritte. Für einen glaubwürdigen Neuanfang aber braucht es mehr. Viel mehr. Es braucht ein echtes Eingeständnis der Fehler, schonungslose Transparenz und Offenheit  und neue Regeln zwischen Partei und Kammer.

Stattdessen findet Landeshauptmann Markus Wallner, er sei ja nicht der Buchhalter der Nation. Der interimistische Wirtschaftskammer-Präsident Wilfried Hopfner redet sich auf die Fachgruppen aus, die ja ach so unabhängig sind »und auch Öffentlichkeitsarbeit machen müssen». Man dürfe, findet er, »nicht aus jeder Mücke einen Elefanten machen». So erklärt er, dass die ÖVP-Funktionär:innen der Kammer 250.000 Euro an Mitgliedsbeiträgen an ihre Partei fließen haben lassen.

Keine Einsicht.
Kein:
»Wir haben einen Fehler gemacht.»
Kein:
»Das darf nicht mehr vorkommen.»
Die Wirtschaftskammer Vorarlberg verspielt gerade ihre Chance auf einen Neuanfang. 

Zu Wolfgang Pendl
Er ist Gründungsmitglied der Grünen Wirtschaft Vorarlberg. Von 2010 bis 2015 war er Mitglied im erweiterten Präsidium der Wirtschaftskammer, von 2014 bis 2015 Landessprecher der Grünen Wirtschaft.