Ein Grätzl, das seinen Energiebedarf eigenständig deckt – Miteinander-Füreinander.

Nicht erst seit der jüngsten politischen Krise ist Energieautarkie in aller Munde. Es gehört auch zur Vision eines lebendigen Grätzls nicht nur den täglichen Bedarf an Alltagsgütern in Gehnähe zu decken, auch eine Energieversorgung, zu der wir einen unmittelbaren Bezug haben, macht den Zusammenhalt stärker. Man schaut also nicht nur darauf, dass die Umgebung passt, sondern auch dass die Versorgung passt. Das romantische Bild des Grätzlzentrums beinhaltete nicht zufällig auch einen Brunnen. Und natürlich sind mit Energiegemeinschaften auch viele der wichtigen Themen des Grätzls wie Sharing Economy und soziales Miteinander verbunden.

Über die Vision, das Grätzl auch als Energiegemeinschaft zu definieren, spricht Stephanie Rank mit Roland Kuras, Vorstand der Grätzl Energie Wien

Wie ist der Wunsch und die Ideen entstanden, die Grätzlenergie Wien aufzubauen?

Eine nachhaltige Energieversorgung ist mir persönlich schon lange ein Anliegen, vor allem um eine sinnvolle Verbindung zwischen einer lokalen und auch überregionalen Energieversorgung zu haben. Die Fragestellung der regionalen Energieversorgung ist ein ganz wichtiger Teil, da die Herausforderung 100 Prozent erneuerbare Energie zu haben sehr groß ist. Österreich hat hier einen großen Aufholbedarf. Wir müssen einfach mehr machen.

Das was wir mit der Grätzl Energie und auch andere Energiegemeinschaften aufbauen, bezeichne ich gerne als zurück in die Zukunft. Denn so hat im Prinzip die gemeinschaftliche Energieversorgung begonnen. Zuerst im Kleinen, an einem Standort, ein Bauer, der eine kleine Turbine in den Bach gehängt hat, um so für sich Strom zu erzeugen. Daran hat sich dann ein Nachbar angehängt und es ist sukzessive gewachsen. Die Grätzl Energie ist nun die Möglichkeit, auch im Ballungsraum etwas zu machen.

Genau diese Verbindung wollen wir aufbauen. Lokale Gemeinschaften, die sich nicht nur um die gemeinsame Energieversorgung kümmern, sondern auch um die Beziehung zwischen den Menschen. Auf den Punkt gebracht: Miteinander-Füreinander

Die Grätzl Energie steht noch sehr am Anfang. Denn das Thema erneuerbare Energieversorgung kann und soll noch viel weitergedacht und umfassender werden, vor allem auch in Richtung Mobilität. Aber auch soziale Aspekte berücksichtigen, Thema Energiearmut.

Wie kam es zu der Organisationsform, ihr seid ja eine Genossenschaft?

© Power Solutions
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Die Form der Genossenschaft hat sich mehr zufällig ergeben, hat sich jedoch für dieses Vorhaben als ideale Form erwiesen. Vor allem, da sie eine höhere Stabilität den Mitgliedern gegenüber bringt. Im Kern geht es darum, Fragestellungen gemeinschaftlich zu lösen, immer jedoch mit dem Gedanken der Wirtschaftlichkeit.

Begonnen haben wir im 23. Bezirk, an unserem Unternehmensstandort. Hier haben wir eine gute Mischung aus Gewerbe-/Industriegebiet und privaten Haushalten. Somit haben wir auf der einen Seite große Dachflächen und auf der anderen Seite im näheren Umfeld schöne Wohnhausanlagen.

Wir durften hier im Bezirk bei einem kleineren Betrieb die erste Photovoltaikanlage miterrichten, was eine wunderbare Ergänzung ist. Denn der Betrieb hat untertags seine Verbrauchspitzen, dafür kaum bis nichts abends und am Wochenende – also genau die Zeiten, wo Haushaltsbereiche Strom benötigen. Wenn die Sonne nicht scheint, dann kommt diese über einen Energielieferanten.

Neben der Thematik Photovoltaik ist das Thema Mobilität für uns ein ganz wesentliches. Auch hier haben wir uns im Bezirk dafür eingesetzt, dass wir im 23. Bezirk mit unserem Kooperationspartner das Angebot an E-Scootern aufbauen.

Wie sieht der Ablauf aus, wenn jemand mitmachen möchte?

Der Ablauf ist relativ einfach, die Person erwirbt einen Anteil an der Genossenschaft, abhängig davon, ob es eine natürliche oder juristische Person ist.

Als Mitglied der Genossenschaft kann man Verbraucher: in, reine:r Erzeuger:in (sehr selten) oder beides sein. Unser Ziel liegt dann darin, dass im Grätzl so viel wie möglich lokale Energiekapazität bereitgestellt wird.

Es gibt zwei Möglichkeiten sich als Investor aktiv zu beteiligen:

Grätzl GRATIS

Man kauft ein Modul von einem ausgewählten Standort und erhält 15 Jahre den Strom des Moduls gratis. Die Grätzl Energie kümmert sich um die Wartung und Instandhaltung. Voraussetzung: Verbindung über das gleiche Umspannwerk der PV Anlage und Mitglied in der Grätzl Energie. Die Netzkosten, Abgaben und Umsatzsteuer sind natürlich zu entrichten.

Grätzl INVEST

Einfach in die lokale Energieversorgung investieren und 15 Jahre eine Rückzahlung mit einem fixen Zinssatz von 1,75% erhalten. Es ist möglich, mehrere Module an ausgewählten Standorten zu erwerben. Eine Mitgliedschaft ist in diesem Fall nicht notwendig. Aktuelle Projekte sind unten ersichtlich.

Grätzl Dach

Sollte man nicht investieren wollen, hat aber ein Dach für eine PV Anlage, die von der Energiegemeinschaft genützt werden kann, so ist dies eine ideale Voraussetzung, um seine Stromkosten zu senken. Die Grätzl Energie pachtet die Dachfläche gegen ein Entgelt, errichtet eine Photovoltaik-Anlage auf Ihrem Dach und Sie können von reduzierten Energiekosten profitieren.

© Power Solutions
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Wie funktioniert das Modell beziehungsweise funktioniert es auch, wenn die Kund:innen nicht direkt im Grätzl wohnt?

Bei der Grätzl Energie stellt sich weniger die Frage der geografischen Zuordnung, sondern wir betrachten die Definition des Grätzls von netztechnischer Seite her. Davon ist es abhängig, ob es eine lokale oder regionale Energiegemeinschaft ist.

Somit haben wir zwei Ebenen. Auf der einen Ebene ist es die juristische Persönlichkeit der Genossenschaft, wo die Kundin/der Kunde Mitglied ist, unabhängig davon wo sie/er wohnt. Die zweite Ebene ergibt sich dann durch die technischen Fragestellungen des Netzes.

Befindet sich ein Mitglied oder Interessent:in nicht mehr in dem Grätzl ist, dann ist es unser Ziel, dort eine Photovoltaikanlage zu errichten, damit dort auch all die Vorteile genützt werden können. Ist noch keine Erzeugungsanlage vor Ort, gibt es derzeit leider noch keine Möglichkeiten, an den Vorteilen zu partizipieren

Unser Ziel ist es, bei allen Anfragen zu analysieren, wie wir vor Ort eine Photovoltaikanlage umsetzen können.

Das Modell soll dem Grätzl und seinen Mitgliedern ja auch Preisvorteile bringen. Wie kann ich mir das vorstellen?

Generell setzt sich der Preis aus den Komponenten Energie, Netztechnik und Steuern und Abgaben zusammen. Die Kosten- und Preisvorteile ergeben sich dann aus den unterschiedlichen Netzebenen. Auf jeden Fall gibt es fixe Preisvorteile je Kilowattstunde und somit auch eine langfristige, stabile Preisabsicherung. Der Preisvorteil durch die reduzierten Netzkosten und Abgaben liegt in Wien bei rund 4,10 Cent pro Kilowattstunde brutto.

 Was ist das Herausfordernde am großflächigen Aufbau der Grätzl Energie?

Die Hauptherausforderung sehe ich darin, die Abwicklung mit den regionalen Netzbetreibenden aufzubauen, denn bis alle Prozesse rund laufen, steckt viel Detailarbeit darin. In Wien haben wir bereits eine sehr wertschätzende Verbindung mit dem regionalen Netzbetreibenden, auf der wir nun aufbauen können.

Wir gehen bewusst erst dann nach außen, wenn wir unseren Mitgliedern garantieren können, dass die entsprechenden Prozesse stabil und reibungslos laufen.

Wenn ihr als Grätzl Energie einen Wunsch an die Stadt Wien habt, was wäre das?

Die Stadt Wien hat bereits eine gute Förderstruktur für Photovoltaikanlagen, dieser Bereich ist schon gut abgedeckt. Der Wunsch wäre auf jeden Fall, die Thematik, wo Photovoltaikanlagen gebaut werden dürfen, noch offensiver und weitsichtiger zu denken. Denn wir, als Wienerinnen und Wiener, werden auf unserem Weg die Klimaziele zu erreichen jede Fläche brauchen.

Die Grätzl Energie steht derzeit noch am Anfang. Wie seht ihr euren Weg in den kommenden drei Jahren? Welche Pläne wollt ihr umsetzen?

Unser klares Ausbauziel ist es 1000 Kilowatt Peak pro Jahr zu bauen und Partner:innen in den Grätzln zu gewinnen, die das Miteinander-Füreinander ebenso leben und lieben wie wir.

Ab heuer (2022) werden wir zusätzlich noch den sozialen Aspekt verstärkt miteinbeziehen und wie wir mit der Grätzl Energie einen Beitrag leisten können. Dabei geht es vor allem um Fragestellungen wie, jemand hat eine Photovoltaikanlage und möchte von seinem Überschussstrom einen bestimmten Anteil an Kilowattstunden spenden.

Weiters ist für uns auch ganz stark die Fragestellung der Mobilität und neue Mobilitätskonzepte präsent, denn ohne ein entsprechendes Konzept wird es in Zukunft nicht gehen.

Derzeit gibt es euer Angebot nur in Wien. Wollt ihr auch außerhalb von Wien diese Strukturen aufbauen?

Außerhalb von Wien, bei anderen Energiegemeinschaften stehen wir sehr gerne beratend, strukturell zur Seite. Denn die Gründung einer Energiegemeinschaft ist recht einfach, spannend und herausfordernd wird dann die laufende Betreuung. Wichtig ist es, lokal zu schauen, was sinnvoll möglich ist und dann überregional zu denken. Wir werden auch die Verbindung zu Windrädern und Speicherkraftwerken brauchen, wenn wir in Zukunft nachhaltig Energie erzeugen möchten.

Grätzl Energie Wien