Ein Beitrag aus unserer Blogreihe »Zukunftsfähig Wirtschaften«

»Wir müssen uns selber helfen« – auf Basis dieser Erkenntnis von Friedrich Wilhelm Raiffeisen entstanden in den 70-er-Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten genossenschaftlichen Gesellschaften. Landwirte, Handwerker, Arbeiter und Gewerbetreibende gehörten ihr an. Ihr Ziel: Die Dinge selber in die Hand zu nehmen, gemeinsam etwas zu bewegen. Heute würden wir wohl Graswurzelbewegung dazu sagen.

Vor einigen Wochen durfte ich an einem spannenden Online-Dialog mit Mag. Julius Reichl, Generalsekretär-Stellvertreter des Österreichischen Raiffeisenverbands, und Rupert Matzer, Gründer von zwei Bio-Genossenschaften, teilnehmen. Im Zentrum standen folgende Fragen:

  • Was macht diese Organisationsform aus, die seit einigen Jahren wieder in verschiedenen Bereichen gegründet wird?
  • Könnte diese Organisationsform in ländlichen Gebieten einen Beitrag leisten, dass sich dort wieder Menschen ansiedeln bzw. nicht weg gehen?
  • Was braucht es für eine Haltung und Einstellung, um eine Genossenschaft erfolgreich zu gründen und zu führen?

Man muss teilen können – warum ein erfolgreicher Unternehmer auf das Genossenschaftsmodell setzt.

Rupert Matzer, Gründer des ersten und bis heute bestehenden Bioladens in Graz,  hat vor einigen Jahren das Modell Genossenschaft für sich entdeckt. Mittlerweile entstanden zwei Genossenschaften, in Gleisdorf und in Hartberg in der Oststeiermark : Der Biosphäre Südost gehören 50 Genossenschaftsmitglieder an, der seit April 2021 bestehenden Biosphäre Wechselland 43 Mitglieder. Ziel des Unternehmens war es, Eigenkapital aus Nachrangdarlehen zusätzlich zur Bankenfinanzierung zu erhalten, Anreiz für die Genossenschafter die 24h/7 Tage-Verfügbarkeit des Sortiments, 3-5% Zinsen beim Einkauf sowie der Vorrang als LieferantInnen mit ihren Produkten für den Bioladen. Und der Familie Matzer geht es auch darum, ein Gegenmodell zu den oft exorbitanten Einkommensunterschieden zwischen MitarbeiterInnen und EigentümerInnen in die Praxis umzusetzen.
Gerade im ländlichen Raum, wo das Genossenschaftsmodell tiefer in der Bevölkerung verankert ist, trägt es zu verstärkter Kooperation und Miteinander bei.

Die Kraft mehrerer bündeln – warum Genossenschaften gerade für EPUs interessant sind.

Julius Reichl sieht im Genossenschaftsmodell gerade für Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) viele Vorteile: die Möglichkeit im Urlaub eine Vertretung zu haben, ein gemeinsames Sekretariat nutzen zu können, die Datenschutz-Frage gegenüber KundInnen professionell lösen zu können  – in Summe: die Kraft von mehreren zu bündeln. Das Gegenteil zur ICH-AG spiegelt sich in der Haltung von GenossenschafterInnen, es gilt, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Ein Mitglied – eine Stimme: dieses Prinzip stellt angehende GenossenschafterInnen gerade im Gründungsprozess vor große Herausforderungen. Dialog ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Genossenschaft, es braucht Wertschätzung und den Willen zuzuhören, in Führung zu gehen und sich wieder zurück zu nehmen, gemeinsam etwas zu bewegen.

Die Genossenschaftsidee ist Unesco Weltkulturerbe.

Seit 2016 ist die Genossenschaftsidee immaterielles Weltkulturerbe, als Rechts- und Unternehmensform, die in idealer Weise wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung verbindet. Das Modell passt also bestens in unsere Zeit, in der zukunftsfähiges Wirtschaften mit Fokus auf Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und soziale Verantwortung erfreulicherweise immer mehr in den Fokus rückt!

Andrea Pavlovec-Meixner, im November 2021

Weiterführende Links:

https://www.raiffeisenverband.at/de/raiffeisen-in-oesterreich0/revisionsverbaende.html

http://www.bio-laden.at/Genossenschaft/index.php

https://www.kooperieren.at/

https://www.gemeinwohlprojekte.at/ueber-uns/wer-und-was-ist-das/