Pyramidenbau im 18. oder der unterschätzte Wert von Flexi-Workerinnen für das Grätzl

Grätzl-Werk-Stadt NO. 43: näni – die Taschen aus Währing

Juliane Egger war Sozialpädagogin und zufrieden mit ihrem Beruf. Und doch, etwas fehlte. Vielleicht war es das Streben nach innerer Entfaltung, das Bedürfnis mehr aus den eigenen Begabungen zu machen. Jedenfalls kam die Idee während einer Bildungskarenz, in der sie Zeit zum Nachdenken hatte – Zeit, die sie sonst nicht fand. »Es war nicht so geplant«, meint sie, es hätte sich ergeben, es war plötzlich da. Vielleicht hat es sie nicht zufällig in ihrer Arbeit in den Kreativschwerpunkt gezogen. Beim Anhören ihrer Geschichte entstand in Guido Schwarz das Modell einer Stufenpyramide, an deren Spitze ein Geschäftsmodell, ein Unternehmen steht.

Diese sieht folgendermaßen aus:

Pyramide
© Guido Schwarz

Ein gutes Fundament bildet die Basis

Die Basis der Pyramide bildet eine Leidenschaft für das Nähen, die es bei Juliane schon sehr lange gibt. Dazu kommt das Zero-Waste-Modell, das sie seit vielen Jahren kennt, und das für ihr gesamtes Leben wichtig ist. Der dritte Faktor der Basis ist die Frage nach der Herkunft der Dinge. Gesellschaftlich ist das noch nicht wirklich angekommen, aber die Rufe nach Herkunftskennzeichnung und ähnlichen, für den Konsum wichtigen Informationen, werden langsam lauter. Und dann muss Juliane einfach etwas mit den Händen tun.

 

Die Plane war ein Zufall

Auf der zweiten Stufe der Pyramide befinden sich die Zufälle, die keine Zufälle sind, die Gelegenheiten, die beim Schopf ergriffen werden oder auch nicht. In Julianes Fall wurden sie ergriffen, einerseits durch die Bildungskarenz, die zwar geplant, in ihren Nebeneffekten (Zeit für etwas finden) aber nicht erkennbar war. Dann bekam sie eine Lkw-Plane. Auch das war nicht völlig zufällig, vielleicht war ihr Blick schon auf etwas gerichtet, von dem sie noch nicht genau wusste, was es war. Auf jeden Fall war da diese Plane, aus der etwas genäht werden konnte. Die Plane war gebraucht und wäre weggeworfen worden – für Zero-Waste-Afficionados geht das gar nicht. Daraus eine Tasche nähen – das geht sehr wohl.

Also stieg Juliane eine Stufe höher und probierte es einfach aus. Sie nähte eine Tasche und noch eine zweite und eine Geldbörse, die sie Freund:innen und der Familie zeigt. Das Feedback war sehr positiv und so entstand die Idee, dass daraus ja mehr gemacht werden könnte. Vielleicht finden andere Menschen außerhalb des Bekanntenkreises diese Taschen ja auch gut?

 

Wie geht es weiter?

Das ist genau genommen schon der Sprung auf die nächste Ebene, auf der aus ein paar genähten Taschen eine professionelle Fertigung aufgebaut wird. Da noch nicht klar ist, ob und wie es laufen wird, dürfen vorerst nicht zu viele Investitionen getätigt werden. Die Nähmaschine und der große Tisch finden einen Platz im großen Esszimmer, das durch eine Türe vom Wohnzimmer getrennt ist und somit vereinbar mit dem Familienleben.

Die alten Lkw-Planen stammen von einer Firma aus Oberösterreich, dazu hat sie noch eine Quelle für Folienreste, die beim Bau von Schwimmbädern übrigbleiben, und zusätzlich kommt sie an ausgemusterte Werbeplakate, für die es auch bisher keine Verwendung gab. Das »Mining« funktioniert also, die Produktionsstätte ist einsatzbereit und Nachfrage gibt es auch.

 

 

näni
©Juliane Egger

Zero Waste als Geschäftsmodell

Jetzt erklimmt Juliane die letzte Stufe und macht aus ihrer Bildungskarenzidee ein Geschäftsmodell – näni entsteht. Dazu sucht und findet sie Möglichkeiten für den Absatz ihrer Produkte, zuerst einmal bei der Plattform »ETSY«, wo sie sich mit ihren Produkten registriert. Und sie entdeckt bei einem Spaziergang mit ihrem Hund einen »Zero Waste Concept Store«, den einfach besucht und sich mit dem Betreiber einig wird. Eine professionelle Website ist in Arbeit, ein Logo in Entwicklung und die ersten Taschen verkaufen sich nicht schlecht. Ihr Ziel ist kein millionenschweres Startup, sondern ein guter Zuverdienst zu ihrem bisherigen Einkommen. Sie ist also eine hybrid Unternehmerin, auch Flexi-Workerin genannt.

 

Gut funktionierende Grätzl sind bunter

Juliane Egger ist eine von vielen Unternehmer:innen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind, wenn man/frau durch ein Grätzl geht. Sie hat kein Verkaufslokal auf der Gasse und ist nicht jeden Tag in den Medien. Aber es gibt sie und sie trägt dazu bei, dass das Grätzl vielfältiger und bunter wird. Diese Buntheit darf durchaus wörtlich genommen werden, gut funktionierende Grätzl haben tatsächlich mehr Farbe, schon allein weil die unterschiedlichen Geschäfte durch den individuellen Geschmack ihrer Besitzer:innen in verschiedenen Farben leuchten. Da viele Unternehmer:innen auch dort wohnen, wo sie arbeiten – oder zumindest nicht weit weg – werden mehr Wege zu Fuß zurückgelegt, was wiederum für regeres Leben auf der Straßen, auf den Plätzen und in den Parks sorgt – und natürlich für weniger Autoverkehr, was neue Perspektiven für die Gestaltung des öffentlichen Raums eröffnet. Wenn vielfältige Bedürfnisse im Grätzl abgedeckt werden – von der Freizeitgestaltung über die Arbeit bis hin zur Bildung und natürlich Konsum – so stärkt das die Bindung an den eigenen Ort, er wird wertvoller, weil sein Reichtum bewusster wahrgenommen wird. Es wäre vielleicht übertrieben zu sagen, dass die Menschen dann gar nicht mehr von dort weg wollen, aber es macht einen großen Unterschied, ob sie weg müssen oder können.

 

Juliane Egger
© Guido Schwarz

So stärken Unternehmer:innen wie Juliane das Grätzlleben gleich mehrfach. Ob sie mit näni letztlich erfolgreich sein wird, wissen wir nicht. Aber auch der Mut, es darauf ankommen zu lassen, gehört zum Unternehmer:innentum und wir wünschen ihr viel Glück mit ihrem Beitrag zu einer umweltfreundlicheren Umwelt, die wir alle so dringend brauchen.

Willst du mehr über näni erfahren? Dann schaut auf Julianes Homepage vorbei: https://naeni.jimdosite.com/