Die Wirtschaftskammerwahlen haben im Burgenland am 4. und 6. März stattgefunden. Wegen der Coronakrise wurde das Ergebnis bis jetzt noch nicht vollzogen – die konstituierenden Sitzungen wurden verschoben. Anja Haider-Wallner, die Regionalsprecherin der Grünen Wirtschaft im Burgenland dazu: „Am 7. März habe ich mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen beobachtet. Wie ich damit umgehen soll, hat mich beschäftigt und dann kam Corona. Ich habe lange gezögert, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Wo nun langsam eine Entspannung der Lage in Sicht ist, tue ich es. Weil auch in Krisenzeiten der Rechtsstaat funktionieren muss und weil die prekäre Situation der 24-Stunden-Betreuer*innen  in der Krise sichtbar wird, die als Selbstständige mit Gewerbeschein Mitglieder in Fachgruppe Personenberatung und Betreuung (127) der Wirtschaftskammer sind.“

In dieser Gruppe sind nicht nur die Betreuer*innen Mitglieder, sondern auch die Agenturen, die eben diese vermitteln. Es ist die mitgliederstärkste Gruppe innerhalb der Wirtschaftskammer. Die Stimmen dieser einen von 69 Fachgruppen machen im Burgenland 10,73 % der insgesamt abgegeben gültigen Stimmen aus. Sie hat damit maßgeblichen Einfluss auf das Gesamtergebnis.

Seltsame Zufälle oder Wahlbetrug?

Haider-Wallner: „Als bei dieser Gruppe die Vorzugsstimmen gezählt wurden, hatte ich den Eindruck, dass auf etlichen Stimmzetteln mit sehr ähnlicher Schrift und teilweise mit demselben Stift immer wieder dieselben Namen in das für Vorzugsstimmen vorgesehene Feld geschrieben waren.“ Wer die Namen der Kandidat*innen auf der Liste recherchiert, kann einfach feststellen, dass einige von ihnen Agenturen betreiben und an derselben Adresse z.T. 100te weitere Personenbetreuer*innen ihren Gewerbestandort haben. Da größtenteils mit Wahlkarte gewählt wurde und Wahlkarten üblicherweise an den Gewerbestandort zugestellt werden, hat Anja Haider-Wallner Zweifel angemeldet, dass diese eventuell nicht rechtmäßig zustande gekommen sein könnten. Die eidesstattliche Erklärung auf der Wahlkarte sagt, dass die Stimmzettel „persönlich, unbeeinflusst und unbeobachtet“ ausgefüllt wurde. Wenn jemand anders die Vorzugsstimmen vorgeschrieben hätte, wäre das in ihrem Rechtsverständnis ungültig.

Haider-Wallner: „Ich habe auf meinen Eindruck hingewiesen, man ist nicht weiter darauf eingegangen und ich wurde aus dem Raum geschickt. Der Antrag, meinen Eindruck und Zweifel zu protokollieren, wurde abgelehnt. Daher haben wir als Wählergruppe Grüne Wirtschaft am Mittwoch den 11.3. Einspruch gegen das Urwahlergebnis in der Fachgruppe 127 eingebracht und ich habe Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet.“

Demokratische Grundprinzipien müssen gewahrt bleiben

Haider-Wallner: „Die Mitglieder der Wirtschaftskammer dürfen die Kosten der Wahlen tragen und müssen sich auf einen sauberen Ablauf verlassen können. Ich habe nur einen relativ kleinen Teil der 900 Stimmzettel gesehen, bevor ich nicht mehr in den Raum durfte. Aber ich finde, im Zweifel müssen diese überprüft, nebeneinander gelegt und ein graphologisches Gutachten eingeholt werden. Nochmals die Wahlkarten und die eidesstattlichen Erklärungen geprüft werden. Sollte sich herausstellen, dass meine Beobachtung falsch war. Fein. Dann habe ich nicht recht gehabt. Aber ich weiß, ich kann mich auf den Rechtsstaat verlassen.“

Haider-Wallner kritisiert auch, dass die 24-Stunden-Betreuer*innen einerseits alle Einzelunternehmer*innen sind, andererseits aber deren Ihre Interessenvertretung in der Wirtschaftskammer von den Agenturchef*innen übernommen wird. Salopp könnte man sagen: das wäre, als würden die Wirte und Wirtinnen die Interessenvertretung der Kellner*innen übernehmen oder die Fabrikbesitzer*innen, jene der Arbeiter*innen. Diese Frauen und Männer werden unfreiwillig zu selbstständigen Wirtschaftskammer-Mitgliedern gemacht, weil alles andere nicht mit dem Arbeitsrecht zusammengeht. Ein Zustand der unhaltbar ist.

Freunderlwirtschaft in Zeiten von Corona?

 Sabine Pürer betreibt eine kleine Vermittlungsagentur. Respektvolle Zusammenarbeit und Qualität in der Betreuung sind ihr wichtig. In der Krise weiß auch sie nicht mehr weiter: „Ziel sollte sein, die Betreuung für ca. 3000 pflegebedürftige Menschen im Burgenland optimal zu gewährleisten und Menschen, die für uns seit mehr als 12 Jahren ihr Leben im Heimatland zurücklassen, zu unterstützen und nicht auszubeuten.“ Von der Wirtschaftskammer sieht sie weder sich noch die einzelnen Personenbetreuer*innen gut vertreten: „Medial wurde kommuniziert, dass 100 Personenbetreuer*innen aus Kroatien auf Initiative der Wirtschaftskammer und dem Land Burgenland eingeflogen wurden. Wer die Kosten für Flug, Corona-Tests und Quarantäne übernommen hat, wird umso interessanter, als alle eingeflogenen Betreuer*innen von einer Agentur vermittelt wurden, deren Chefin Obmann-Stellvertreterin im Fachgruppenausschuss der Wirtschaftskammer ist. Anfragen, ob Betreuer*innen auch von anderen Agenturen vermittelt werden können, wurden nicht beantwortet.“

Mit 1. April hat für alle Betroffenen Agenturen, Betreuer*innen und betroffene Familien ein Spießrutenlauf begonnen. Bezüglich Zeitplan, Ablauf und Kosten für einen Austausch der Betreuer*innen, die sich weit länger als die vorgesehenen 2 bis 4 Wochen 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche um pflegebedürftige Burgenländer*innen gekümmert haben, herrschte große Unsicherheit.

Pürer: „Die Coronakrise hat uns dazu ermutigt, neue Wege zu gehen, neue Möglichkeiten zu finden und diese Kraft sollten wir nutzen, um Situationen wie die 24-Stunden-Betreuung langfristig stabil zu lösen. Wir sollten weiterhin dankbar sein über die Bereitschaft, dass Menschen aus dem Ausland für unsere Familien 24 Stunden tätig sind, dabei eigenen Familien zurücklassen, dass sie ihre Bedürfnisse zurücknehmen um uns zu helfen.“

Sie plädiert weiters dafür, die häusliche Pflege auf breitere Beine zu stellen und gemeinsam mit Wirtschaftskammer, Land und Agenturen sinnvolle Lösungen zu entwickeln. Es sollen regionale Netzwerke gebildet werden, wo sich Alle Anbieter in Betreuung und Pflege und Gesundheit vernetzen können. Pürer: „Ich finde es ist an der Zeit ein System zu schaffen, mit dem wir die Betreuung und Pflege unserer alten Menschen auch selbst bewältigen können. Die Förderung der freiberuflichen Tätigkeit diplomierter Pflegekräfte sehe ich als wichtige Maßnahme.“

Petrik übt Kritik an Bevorzugung einer Agentur durch Landesrat Illedits

Dass von den 100 Personenbetreuerinnen, die auf Kosten des Landes Burgenland aus Kroatien eingeflogen wurden, alle für eine einzige Agentur zur Verfügung stehen, krisiert Regina Petrik, Landessprecherin der GRÜNEN. “Das ist eine Bevorzugung einer Agentur und man stellt sich die Frage, warum gerade eine und genau diese Funktionärin der Wirtschaftskammer als einzige den Zuschlag bekam.” Anita Szojak ist stellvertretende Obfrau der Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreuung in der burgenländischen Wirtschaftskammer und bekannt dafür, dass sie ihre persönlichen Interessen gut vertreten kann. “Es mag Zufall sein, dass Frau Szojak besseren Zugang zu den Förderungen des Landes hat. Es kann sich aber auch um klassische Freunderlwirtschaft handeln. Dem werde ich nachgehen.” Petrik kündigt eine schriftliche Anfrage an Landesrat Illedits an, um die Hintergründe der exklusiven Zuweisung der kroatischen 24-Stunden-Betreuerinnen an die Agentur Szojak aufzuklären.

Betreuer*innen werden mit Sonderzügen geholt

Neuerdings wird eine Einreise mit den Zügen aus Rumänien wird nun ermöglicht und alle Agenturen können Bedarf anmelden. Wenn Betreuer*innen positiv getestet werden, muss die Agentur oder die betreuende Person selbst die Kosten für die 2-wöchige Quarantäne in Österreich tragen. Sabine Pürer: „Betreuer*innen sind selbstständige Unternehmer*innen, sie selbst sind für ihre Kosten verantwortlich. Da diese jedoch ca. 3 Monate zu Hause ohne Einnahmen leben mussten und in den meisten Fällen keinen Anspruch auf den Härtefallfonds haben, können sie sich diese Kosten nicht leisten. Kleine Agenturen setzen damit ihre Existenz aufs Spiel.“ Pürer plädiert wie in anderen Branchen amtsärztliche Atteste aus den Heimatländern anzuerkennen oder Schnelltests zu machen.

Echte Interessensvertretung

Aus Statistiken der Wirtschaftskammer werden die Personenbetreuer*innen – je nachdem was man aussagen will – hinein oder hinausgerechnet. Ihre schiere Anzahl beeinflusst alles. Ihre Interessen werden kaum berücksichtig, bei der Wahl sind sie dann als Stimmen-, Mandats- und damit Geld-Bringer*innen für die Wählergruppen willkommen.

Haider-Wallner zu den Motiven für den Einspruch: „Der grünen Wirtschaft als Wählergruppe bringt das höchstens ein Mandat in der Fachgruppe 127 mehr. Auch wenn unserem Einspruch stattgegeben und neu gewählt wird, wird das Ergebnis sehr ähnlich ausfallen.

Entgegen der ersten Meldungen werden wir unser Mandat im Wirtschaftsparlament behalten, ein 2. ist nicht in Reichweite. Im Burgenland, wo jede jeden kennt, wird es für eine Unternehmerin nicht leichter, wenn sie es sich mit den falschen Leuten verscherzt. Ich engagiere mich politisch, weil ich etwas zum Bessern verändern will, weil ich eine Welt anstrebe in der Wirtschaft, Umwelt und Mensch in Einklang sein können. Nach dem Motto: geht’s den Menschen gut, geht’s der Wirtschaft gut.“

Haider-Wallner weiter: „Krisen lenken den Blick auf Ungerechtigkeiten. Nutzen wir diese Erfahrung jetzt, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Für die 24-Stunden-Betreuer*innen, die Betreuten und für alle Unternehmer*innen im Burgenland, die fair und transparent durch die Wirtschaftskammer vertreten werden wollen.

Rückfragen:

ANJA HAIDER-WALLNER | GRÜNE WIRTSCHAFT BURGENLAND
T: 0650 40 74741
Email: anja.haider-wallner@gruenewirtschaft.at