Ein Besuch im Jeanskamel

Grätzl-Werk-Stadt NO. 27: Die Schätze im Grätzl vernetzen

Da, wo Leerstand sich ausbreitet, entsteht auch gestaltbarer Raum – für schlaue Kooperationen, Austausch unter Nachbar*innen und Angebote für nachhaltige Produkte. Das Wirtschaften im Kleinen und ein sorgsamer Umgang mit Nahrungsmitteln genauso wie mit Ressourcen bringt auch mit sich, dass die Bedeutung und Nachfrage engagierter Kollektive steigt.

©Maria Schönswetter

Es ist ein ehemaliges und uriges Gasthaus in Hernals, in der Hormayrgasse 10. Die Straßenbahn fährt vorbei. Der Gehsteig ist eng, nur direkt vor dem Gasthaus ist etwas mehr Platz. Ein Mini-Vorplatz lädt vor der ca. 60 m2 großen Gaststätte zum Verweilen ein. Alte Gasthaustafeln preisen vor dem holzvertäfelten Eingang das reichhaltige Angebot des Jeanskamels an. Ich folge den buntbeschriebenen Schildern in das Lokal. Maria Schönswetter trifft Nabila Irshaid zum Interview.

Wer bist du und was hast du bis jetzt gemacht?

Ich bin Bildende Künstlerin und arbeite besonders gerne im öffentlichen Raum, damit ich Passanten einbeziehen und Kunst als Überraschungseffekt einbauen kann. Ich bin auch als Unternehmerin selbständig. Ich nähe Taschen und Accessoires aus Stoffspenden und stelle „Klimaprodukte“ für den täglichen Bedarf her, z. B. den Brotsack oder die Putzlappen.

Wie ist die Idee des Jeanskamels entstanden?

2016 habe ich angefangen, mit Flüchtlingen zu nähen. Da habe ich noch in Salzburg gelebt und für diesen Zweck einen eigenen Raum angemietet. Das ist einige Zeit gut gegangen, es war wichtig und hat viel Spaß gemacht. Die Mietpreise stiegen in Salzburg jedoch so an, dass es einfach nicht mehr leistbar war, das Projekt aufrecht zu erhalten und so zog das Jeanskamel weiter. Ich bin mit meiner Familie nach Wien gekommen und habe nach längerem Suchen einen idealen Platz für mein Schaffen, meine Projekte und das Jeanskamel gefunden.

Was erwartet die Besucher*innen, die zu dir kommen?

©Maria Schönswetter

Das Jeanskamel ist vieles. Ich habe hier meine Nähmaschine stehen und produziere Taschen und einige schlaue Klimaprodukte für den täglichen Bedarf. Manche der Bewohner*innen aus der Nachbarschaft bringen mir seit Beginn an Stoff- und Materialspenden vorbei. Ich freue mich auch immer über abgetragene Jeans und andere Hosen. Aus denen mache ich dann Taschen für den Alltag, anderes Nützliches und »Ziergehänge«, die ich verkaufe. Viele der Materialgaben sind Musterproben und Kurzwaren, die einfach nicht mehr gebraucht werden, und weiterverarbeitet ihre Besitzer*innen wechseln können. Außerdem ist das Jeanskamel dazu da, dass man hier die Menschen aus dem Grätzl trifft. Man kann sich unterhalten und seinen Nachbar*innen begegnen.

Wer kann das Angebot der Jeanskamels nutzen und wie funktioniert das?

Anfang 2019 habe ich das Jeanskamel in der Hormayrgasse eröffnet und bespiele es mit diversen Veranstaltungen und Ideen, die zum Mitmachen anregen und auffordern. Dazu haben Ivan (mein Arbeitskollege im Jeanskamel) und ich einen Verein gegründet.

Der Verein ermöglicht allen Mitgliedern, das Kaffeetrinken, das Einkaufen und die Teilnahme an unseren Musikabenden. Unser Verein »Jeanskamel« veranstaltet Konzerte, Workshops, Public Kitchen, Geburtstagsfeiern und vieles mehr.

Die Jahres-Mitgliedschaft wird unentgeltlich erworben, indem man seinen Namen und seine Adresse in unser Vereinsbuch einträgt und optional den Newsletter erhält. Dann ist man berechtigt, die Konzerte zu besuchen, zu essen und zu trinken oder eigene Veranstaltungen anzubieten. Und jeder zahlt soviel, wie ihm und ihr möglich ist. Unsere Kerngruppe besteht aus fünf Mitgliedern, die Jahresmitglieder liegen im Moment bei ungefähr 120 Personen, Tendenz steigend.

Jeanskamel
©Maria Schönswetter

Natürlich ist es auch immer möglich, einfach zum Stricken oder Handarbeiten vorbeizukommen! Wir haben immer Montag bis Donnerstag von 9 bis 17 Uhr und am Freitag von 9 bis 15 Uhr regulär offen. Kaffee und Tee gibt es bei uns immer, aber es gibt keinen Konsumzwang und doch nehmen wir mit der Regelung »pay as you can« genug ein, um den Standort finanziell zu erhalten. Darum ist uns auch ein vielfältiges Veranstaltungsangebot wichtig.

Worauf können sich die Besucher*innen freuen?

Der Verein Jeanskamel bietet ein wöchentliches Kulturprogramm an, das auf Facebook veröffentlicht wird.

Ein bis zwei Mal in der Woche findet »Kommt Näher!« statt. Da nähe ich zusammen mit Migrationen, die dabei ihr Deutsch verbessern. Es wird genäht und geredet. So findet ein Austausch auf vielen Ebenen statt. Die Frauen und Mädchen lernen deutsch und trainieren ihre Geschicklichkeit.

Musiker und Musikerinnen kommen ins Jeanskamel, um gemeinsam zu musizieren. Publikum ist immer erwünscht. Das ganze findet in einer sehr entspannten und freundschaftlichen Atmosphäre statt.

Bei uns gibt es jeden Dienstag Mittag ein Treffen für junge Familien, die keine Verwandten in Wien haben und deren Muttersprache oft nicht Deutsch ist, »Cool Parents«. Am selben Tag gibt es Brot vom Brotpiloten.

Das heißt, das Jeanskamel ist Veranstaltungsraum, Vereinslokal, Produktion der Upcycling-Produkte und vieles mehr. Kooperiert ihr mit anderen Vereinen? Welche Vereine machen da mit?

Jeden Dienstag bringen die Brotpiloten Brot vom Vortag. Die Mehlspeisen und das Brot haben Bio-Qualität. Wir haben das Projekt ausprobiert und die Ware zum halben Preis bzw. nach unserem Motto »pay as you can« angeboten. Am Dienstag sind wir recht bald ausverkauft, und es kommen auch viele Menschen aus der Gegend zu uns, die sonst nicht kommen.

Kinder-Kasperl-Theater gibt es auch im Jeanskamel. Wir bieten Programm für die Kleinsten an. Der Verein Zirkus Maps, mit dem wir da zusammenarbeiten, besucht uns jedes Monat. Den Kindern macht das große Freude.

Ganz neu ab Juni wird es das »Plaudertischerl« geben. Das ist ein Projekt, das die Diakonie Wien aus Großbritannien übernommen hat. Es ist eine Initiative, um Menschen, die sonst isoliert sind, einen Raum zum Austausch zu geben.

Die behördlichen Anordnungen sind oft unklar und bieten keine adäquaten Lösungen für kleine Bertriebe bzw. für »Mischideen« an. Welche Strukturen würdest du benötigen, um das vielfältige Angebot deines Schaffens im vollen Ausmaß ausführen zu können?

Um meine Produkte vor der Galerie auszustellen, muss ich einen jährlichen Betrag unter 20 Euro zahlen. Man muss das bei der MA 46 beantragen.

Unter dem Strich bleiben viele Fragen offen und Beratungsstellen ermitteln mitunter leicht das Gefühl, dass man sich im kriminellen Raum bewegt. Inzwischen habe ich ein regelmäßiges Treffen von Vereinen und Ein-Personen-Unternehmen-Mix-Betreibern ins Leben gerufen, damit wir uns gegenseitig beraten können.

Die Gründung eines Ein-Personen-Unternehmens oder eines Vereines ist für sich schon recht unübersichtlich. Aber wenn man versucht, beide sinnvoll miteinander zu verbinden, wird es noch unübersichtlich und es findet sich kein kompetenter Ansprechpartner.

Was würdest du als EPU benötigen, um deine Existenz in dieser Zeit (Stichwort: COVID19-Krise) gesichert zu wissen?

Ein Grundeinkommen würde meine Lebenssituation und das meiner Kinder sehr erleichtern. Ich wäre um eine Perspektive reicher. Damit bestünde die Möglichkeit, dass es keine weibliche Armut mehr gibt. Materiell gesehen, würde ich mir mal einen Urlaub gönnen.

Ich würde genauso viel und gerne arbeiten, wie ich es jetzt mache, ca. 60 Std pro Woche, weil es mir Freude bereitet und ich diese Energie an mein Umfeld weitergeben kann.

Oder ändert sich überhaupt etwas für dich?

©Maria Schönswetter

Mein Überleben ist generell ungesichert, da spielen die Einschränkungen durch Corona nicht so eine große Rolle.

Da ich als EPU Slow-Economy praktiziere, arbeite ich nicht nach den Regeln von Angebot und Nachfrage, sondern: Wann habe ich Zeit, etwas Bestimmtes herzustellen, wann habe ich die Mittel dafür und wie und wo will ich es anbieten. Als alleinerziehende Mutter sind Zeiteinteilung und Ressourcenverfügbarkeit immer ein Thema und in dieser Zeit zahlt sich aus, dass ich gelernt habe, mit wenig auszukommen. Während der Coronazeit nähe ich auf Bestellung und lasse es mit Sicherheitsabstand abholen.