Offener Brief an Dr. Harald Mahrer zur Lehrlingsabschiebung 

Die von der Abschiebung betroffenen Arbeitskräfte für die österreichischen Betriebe eine wirtschaftliche Notwendigkeit – WKO-Präsident Harald Mahrer muss handeln.

Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Mahrer!

Anlässlich Ihrer gestrigen Pressekonferenz zur Präsentation des Fachkräfte-Radars haben Sie dargestellt, dass in Österreich derzeit 162.000 Fachkräfte gesucht werden. Dies sei eine „dramatische Zahl“ und würde die Investitionsbereitschaft, das Umsatzwachstum und die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Betriebe beeinträchtigen. Außerdem sagten Sie, dass daraus eine Abwärtsspirale entsteht, die Österreich im internationalen Wettbewerb schwächt und somit Gefahrenpotentiale hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation beinhaltet. Ich teile diese Meinung.

Umso mehr bestürzt es mich, wenn einen Tag später der Innenminister der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung verkündet, dass angeblich für die in Ausbildung stehenden jugendlichen Asylwerber keine Möglichkeit eines Aufenthaltstitels gefunden werden kann, wenn das Asylverfahren negativ ausgeht. Für den Verbleib dieser Jugendlichen in Österreich haben sich bereits mehr als 61.000 Personen stark gemacht, unter denen sich auch zahlreiche namhafte UnternehmerInnen befinden.

Als Vertreter der Interessen der Wirtschaftstreibenden in Österreich, deren gewähltes Sprachrohr Sie auch in Richtung der Bundesregierung sind, enttäuscht es mich zutiefst, dass Sie nicht mit entsprechendem Nachdruck bei der Regierung klar gemacht haben, dass die österreichischen Ausbildungsbetriebe eine Möglichkeit brauchen, ihre Lehrlinge fertig auszubilden und im Anschluss möglichst auch zumindest für eine sinnvolle Zeitspanne – der Vorschlag ist für die Dauer von zwei Jahren – im Unternehmen weiter zu beschäftigen. Das ist nämlich aus wirtschaftlicher Perspektive notwendig.

Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass die Art, wie von Seiten des Innenministeriums argumentiert wird, ein Armutszeugnis ist und es offensichtlich keinen Willen bei der Bundesregierung gibt, eine pragmatische Lösung herbeizuführen. Zu fadenscheinig ist die Ausrede, man hätte alle rechtlichen Möglichkeiten geprüft und es gäbe keine Grundlage für eine Ausnahmeregelung bzw. ein humanitäres Bleiberecht. Die Folge ist, dass es – in Abstimmung mit dem Koalitionspartner ÖVP – keine Sonder- und Ausnahmeregelung geben wird.

Wenn man aber an anderer Stelle sieht, mit welcher Leichtigkeit und in welchem Tempo Entscheidungen für Gesetzesänderungen herbeigeführt werden, so lange es den Zielen der Bundesregierung dient, ist diese Argumentation ein echter Affront. Hier werden die Möglichkeiten der Bundesregierung gedreht und gewendet wie man es in einem hochentwickelten und demokratischen Staat wie Österreich nicht erwarten würde.

Ich ersuche Sie daher Ihren Einfluss auf Ihren Freund und Bundesparteiobmann der ÖVP, Bundeskanzler Sebastian Kurz, geltend zu machen, zumal Sie ja auch selbst Teil des ÖVP-Bundesparteivorstands sind, um doch noch eine Lösung herbeizuführen.

Ihnen muss doch einleuchten, dass die von der Abschiebung betroffenen Arbeitskräfte für die österreichischen Betriebe eine wirtschaftliche Notwendigkeit sind! Die Kurzsichtigkeit der Bundesregierung ist vollkommen wirtschaftsfremd, unmenschlich und schadet dem Ansehen Österreichs bei der internationalen Staatengemeinschaft.

Hochachtungsvoll,

Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft