Wahnsinnig. Komplizierte. Organisation.
Die Struktur der Wirtschaftskammer ist kaum zu durchschauen. Um sie wirklich zu verstehen, benötigt man Jahre. Also versuchen wir das fast Unmögliche: In drei Minuten erklären wir hier, wie die Wirtschaftskammer aufgebaut ist.
Wirklich kompliziert
Als der ehemalige WKO-Chef Christoph Leitl nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 das amerikanische Consulting-Unternehmen A.T. Kearny beauftragte, Reform-Vorschläge für die Wirtschaftskammer zu erarbeiten, meinten die Berater bald hinter vorgehaltener Hand: »Wir haben uns international umgesehen, um eine mit der WKO vergleichbare Organisation zu finden. Aber so etwas gibt es weltweit nur ein einziges Mal!«
Obwohl Christoph Leitl anderen zwar immer gerne Reform-Ratschläge erteilt, ist seine eigene Organisation an Kompliziertheit kaum zu überbieten. Nach der letzten von Christoph Leitls berühmten »Kammerreformen« sah das Organigramm der Wirtschaftskammer so aus:
Du verstehst jetzt nichts?
Das verstehen wir sehr gut, aber probieren wir es einmal! Sehr vereinfacht erklärt handelt es sich bei der Struktur der Kammer um eine riesige Matrix mit folgender Formel:
Jahrhunderte altes Zunftwesen multipliziert mit Österreichischem Föderalismus!
Fast 900 Branchengremien
Das ergibt fast 900 Branchengremien auf Ebene der Landeskammern, die unterschiedlichste Namen tragen: »Fachgruppen«, »Landesgremien«, »Landesinnungen« oder »Fachvertretungen«.
Ob es für eine Branche ein eigenes Gremium gibt oder ob die Branchen lustig zusammengewürfelt sind, ist vollkommen frei von Logik. In manchen Landeskammern sind einzelne Branchen wiederum in zwei Fachgruppen unterteilt. Alles ist historisch gewachsen – und was könnte in Österreich beständiger sein, als das!
Beispielsweise sind bei den »Gesundheitsberufen« die Optiker:innen, Hörgeräte-Akustiker:innen, Zahntechniker:innen und Orthopädie-Schuster:innen gemeinsam organisiert. Ob diese Berufsgruppen tatsächlich gemeinsame Interessen haben, darf bezweifelt werden. Dafür werden diese Interessen bundesweit in 10 Gremien vertreten!
Sinnlose Zehnfach-Strukturen
Es gibt nämlich für jede Branche nicht nur neun gleiche Gremien in den Bundesländern, sondern jeweils auch ein zehntes auf Ebene der Bundeskammer (»Fachverbände«). Und diese vollkommen sinnlosen Zehnfach-Strukturen verschlingen eine Menge Geld: Rund eine dreiviertel Milliarde Kammerumlagen dürfen Österreichs Unternehmen pro Jahr abliefern!
Ebenfalls mehr als unlogisch ist es, dass es zwar eine Überzahl von Gremien für reine Branchen-Interessen gibt, jedoch keine Gremien, die die Betriebsgröße bzw. Rechtsform der Kammer-Mitglieder abbilden. Ein Gremium für Ein-Personen-Unternehmer:innen wäre zum Beispiel durchaus sinnvoll, um diesen kammerintern mehr Gewicht zu verleihen.
Sparten, Wirtschaftsparlamente …
Die pro Landeskammer 90 bis 100 Branchengremien werden zu sieben Sparten zusammengefasst. Auf europäischer Ebene reichen zwar drei Bereiche (Produktion, Handel, Dienstleistung), aber in Österreich waren sogar sechs zu wenig! Also hat Christoph Leitl im Jahr 2005 eine siebente Sparte eingeführt:
- Gewerbe & Handwerk
- Industrie
- Handel
- Bank & Versicherung
- Transport & Verkehr
- Tourismus & Freizeitwirtschaft
- Information & Consulting
Auch diese Sparten gibt es je zehn Mal – neun Mal auf Landes- und einmal auf Bundesebene. Was die 70 Gremien dieser Sparten – genannt »Spartenkonferenzen« – genau tun, entzieht sich selbst bei Eingeweihten der Kenntnis. Fest steht, dass es für jede Sparte eine Geschäftsführung, ein Büro mit Mitarbeiter:innen und jede Menge Funktionär:innen mit Aufwandsentschädigung gibt.
Auf oberster Ebene bilden die jeweils sieben Sparten dann die Wirtschaftsparlamente, die höchsten Gremien der Kammerorganisation, von denen wir natürlich ebenfalls zehn Stück benötigen.
… und vieles mehr!
Wir könnten es jetzt noch weiter treiben und über Bezirksstellen und deren Bezirksstellen-Ausschüsse oder Berufsgruppen und deren Berufsgruppen-Ausschüsse sprechen. Ganz zu schweigen von all den Fachabteilungen in den zehn Wirtschaftskammern, die alle zehn Mal das Gleiche tun! Dann gäbe es Finanzausschüsse, Kontrollausschüsse, WIFI-Kuratorien, diverse Beiräte und last but not least die Präsidien und Erweiterten Präsidien der Kammern. Alles wie immer zehn Mal, damit niemand zu kurz kommt!
Irgendwann hat irgendjemand die Anzahl aller Wirtschaftskammer-Funktionär:innen gezählt und ist auf 17.000 gekommen. Dieser Wert ist schwer zu überprüfen, wurde aber von der Wirtschaftskammer oder von Christoph Leitl selbst nie dementiert.