Freud und Leid im Buchhandel – Teil 2

Grätzl-Werk-Stadt No. 7: Sonjas Verachtung für Amazon

 

Im zweiten Teil über die Für und Wider des Online-Handels, die aus einer Diskussion der Arbeitsgruppe Grätzelwirtschaft entstanden ist, zerstreut Sonja die Ängste vor dem Verschwinden des stationären Buchhandels. Sie schildert, warum man nicht beim Buchhändler, bei der Buchhändlerin ums Eck einkaufen sollte, sondern darf.

Besser gut beraten

Neulich auf der Facebook-Seite einer Wiener Buchhändlerin: »Eine Kundin beschreibt einen Buchwunsch: Eine französische Autorin, der Titel ist vermutlich ,Ich und die anderen‘ und aus dem Inhalt weiß ich nur, dass der Cousin aus Syrien plötzlich vor der Tür steht. Gemeint war ,Alle, außer mir‘ von Francesca Melandri – diesmal hat es ein bisserl länger gedauert, bis ich drauf gekommen bin.« [Der Cousin aus Syrien ist ein Neffe aus Äthiopien, in den Kommentaren schilderten einige Kolleginnen ähnliche Erlebnisse. Wie man diesen Titel mithilfe eines Algorithmus gefunden hätte, werden wir wohl nie erfahren.]

300 Buchhandlungen in Wien

Die Buchhändlerin betreibt eine von ca. 300 Buchhandlungen in Wien. Petra Hofer hat sich vor fünf Jahren sehr erfolgreich ihren eigenen Arbeitsplatz geschaffen. Was sehr erfolgreich heißt? Sie kann von ihrer Grätzelbuchhandlung leben, gönnt sich freie Tage und Urlaub und vor allem: arbeitet mit großer Freude in ihrem Beruf.

Sie hat eine jener InhaberInnnen-geführten Buchhandlungen, für die ich mich als Branchenvertreterin einsetze. Nicht, weil sie Almosen brauchen, sondern weil ich ihre Arbeit und ihr Angebot sehr schätze. Sie bestücken ihr Sortiment überlegt und mit Geschmack, sie kennen ihre Kundinnen und Kunden persönlich und sie verraten mir auch die Hintergründe zu mancher Publikationsstory. Klar, kann ich jede konkrete (deutschsprachige) Bestellung bei ihnen innerhalb von 24 Stunden bekommen. Ich weiß, spätestens jetzt, zucken einige geneigte LeserInnen: Als heavy user kaufe ich alle meine Bücher im Buchhandel, gebe allerdings zu, dass ich keine englischsprachige Fachliteratur brauche, wenn ich für ein englischsprachiges Taschenbuch vielleicht mal ein bisschen mehr zahle, ist es mir das wert. Ich weiß diese Vorzüge für mich persönlich also zu nutzen und zu schätzen, meine Sorgen wegen des steuerprivilegierten Online-Riesen sind etwas in den Hintergrund gerückt.

Von wegen verschlafene Lesemäuse!

BuchhändlerInnen sind lange schon keine verschlafenen Lesemäuse mehr, die nur gerne mit ihren Kunden plauschen. Sie sind kompetente Content-VermittlerInnen mit umfassendem Allround-Wissen und erstaunlichen Fähigkeiten, nämlich:

  • gute sozial Kompetenz (hör doch einmal zehn Stunden am Tag die schönsten/schlimmsten/prägendsten Erlebnissen von Menschen und erinnere dich Monate später daran, weil du den passenden Titel für die Kundin vom Verlag angeboten bekommst … und das ganz ohne Supervision oder Ähnlichem),
  • Wirtschaftskompetenz (einheitlicher Buchpreis erfordert gute Einkaufspolitik und hervorragendes Verkaufstalent)
  • Marketing Kompetenz (Storytelling im Buchhandel ist so alt wie der Beruf selbst, Schaufenster-Gestaltung gehört genauso zum Handwerk wie die Redaktion einer eigenen KundInnen-Zeitung und die Betreuung der Buchhandlungs-Facebook- und Website)
  • Veranstalter-Lust: Nicht wenige sind nach den Öffnungszeiten noch immer frisch genug, um sich auf Branchenveranstaltungen weiter zu informieren, zu vernetzen oder sogar selbst Lesungen oder Lesekreise anzubieten.

Offline und online kombiniert

Das Gegensatz-Paar Online- und stationärer Buchhandel hat in meiner Welt keinen Platz. Ich kommuniziere mit meinem Buchhändler ums Eck auch online, bei manchen bestelle ich über den Online-Shop, bei anderen über E-Mail (kurz und schmerzlos: ISBN, Gruß – wir kennen uns, kein Passwort, einloggen, Kreditkarte …). Da weiß ich dann genau, wo, wann und wie ich mein Buch in bester Atmosphäre und Ansteckungsgefahr (»wo Bücher sind fliegen Bücher zu«) ich es abholen kann. Es gibt übrigens auch erstaunlich flexible Öffnungszeiten im Buchhandel. Auch Ebooks kaufe ich ausschließlich im österreichischen Online-Handel.  Natürlich aus Prinzip, aber jede Unebenheit bei Online-Kauf erfordert eine Ansprechperson, hast du schon mal bei Amazon angerufen? Ein Einkauf im Buchhandel ist für mich keine gute Tat (Stichwort: vom Aussterben bedrohte Branche), sondern reiner Lustgewinn.

Alles im Wandel

Aber nun der wirklich schönste Aspekt: Vielen im Indie-Buchhandel geht es wirklich gut, besser zumindestens als größeren Ketten oder gar Konzern-Ablegern (die Gewinnmaximierung über alles stellen). Sicher, weil manche der EigentümerInnen mit voller Power dahinterstehen (aber ehrlich: wer von uns UnternehmerInnen tut das nicht?). Aber auch, weil in meiner Wahrnehmung immer mehr KäuferInnen den Sexappeal von engagierten, fantasiereichen und spannenden Buchmenschen suchen und zu schätzen wissen. Die Branche verändert sich, immer schon. Und das wird sie in den nächsten Jahrzehnten weiter tun.

Ich muss nicht jedes Geschäft mögen, mir ist nicht jede Buchhändlerin sympathisch, ich brauche nicht jede Empfehlung eines Buchhändlers. Klar, gibt es auch UnternehmerInnen, die scheitern, sich umorientieren oder aufgeben, wie in jeder anderen Branche. Aber für mich sind Service und Kompetenz des Buchhandels nicht wegzudenken.

Wer es cool und bequem findet, seinen Lesegeschmack von Algorithmen festlegen zu lassen und für seine Buchbestellung seine Daten Amazon zu schenken, dem oder der sei das unbenommen.

Mein Buch hat ein Gesicht – Wiens Buchhandel hat viele.

… und Guido, unbestritten: Das Leben als Kleinverleger ist hart, auch bei Amazon.