Sabine Jungwirth weiß, warum die Wirtschaftskammer-Wahl wichtig ist – und der Mut zur Veränderung auch.

Warum sollen wir uns mit den Wirtschaftskammer-Wahlen beschäftigen – haben wir keine anderen Sorgen?

Sabine Jungwirth: Als Unternehmerin verstehe ich die Frage gut. Aber hinter den tagesaktuellen Themen gibt es ein paar zentrale Herausforderungen, die für langfristig erfolgreiches Wirtschaften mutig angegangen werden müssen. Wirtschaft ist eben nicht nur das Produzieren von Dienstleistungen und Gütern. Da geht’s auch um unser Leben, unsere Arbeitswelt und den Einfluss auf unsere Umwelt. Beim Klimaschutz wird dir das gleich klar. Da stehen riesige Aufgaben vor uns, die wir endlich angehen müssen.

Von der Notwendigkeit der Transformation reden heute alle Parteien …

Sie reden darüber, aber sie machen nichts. In der Wirtschaftskammer dominiert der ÖVP-Wirtschaftsbund. Er entpuppt sich gerade beim Klimaschutz als Bremsklotz der Nation. In der Kammer werden aber Weichen gestellt, die alle betreffen. Das ist ein Riesentanker mit 1,3 Mrd. Euro Jahresbudget, und den wollen wir in Richtung Zukunft
umsteuern.

Zum Beispiel, konkret …

Die Ökologisierung des Steuersystems, das war eine langjährige Forderung von uns – da hat der Wirtschaftsbund lange Zeit massiv gebremst. Ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz und zu einem Klimaschutz-Gesetz wäre für alle Unternehmer:innen extrem wichtig, um besser planen zu können. Klimaschutz und ökologische Transformation sind auf der ganzen Welt ein wichtiger Motor der Wirtschaft geworden. Wir verlieren den Anschluss, weil blockiert wird, statt zu handeln – und dabei haben wir Topunternehmen und Ideen im Land dazu, die weltweit geschätzt werden!

Aber eine kleine Fraktion …

… kann viel bewirken. Wenn ein Wirtschaftskammerdirektor, der auch ÖVP-Nationalrat ist, so tut, als sei Klimaschutz nur eine Träumerei, dann lernt er durch uns sehr schnell dazu. Unser Boykottaufruf, die Mitgliedsbeiträge nicht zu zahlen, hat schnell gewirkt. Oder: Bei der Film- und Musikwirtschaft stellen wir den Obmann des Fachverbands – jetzt haben wir eine der weltweit besten Filmförderungen mit Ökobonus und eine hohe Wertschöpfung und Umwegrentabilität, die ist wichtig für den Tourismus! Es geht viel.

Österreich geht’s doch eigentlich gut. Warum wird dann so viel gejammert?

Uns geht es im internationalen Vergleich gut – dank großartiger Unternehmer:innen, die Probleme anpacken. Aber der Wirtschaftsbund jammert uns krank – ein alter politischer Trick, um Veränderungen zu vermeiden. „Wir können grad nicht, das Geld fehlt“ usw. Tatsächlich geht es um Privilegien und Machterhalt. Viele Wirtschaftstreibende hingegen sind viel weiter und viel agiler, als der Wirtschaftsbund behauptet.

Transformation betrifft auch die Arbeit und die Verwaltung. Stichwort: Fachkräftemangel, Lohnkosten …

Wir haben mit hohen Löhnen und Gehältern sicher einen schweren Rucksack. Als Grüne Wirtschaft fordern wir seit langem eine Senkung der Lohnnebenkosten – und eine Umsteuerung der Abgaben: weniger Steuern auf Arbeit, mehr auf klima- und umweltschädliches Verhalten. Die Einführung der Co2-Bepreisung durch die Senkung der Steuertarifstufen war wichtig. Es braucht aber auch eine niedrigere Mehrwertsteuer auf Produkte, die klimafreundlich sind. Wir leben von hoher Qualität und Originalität, nicht von Discount-Massenproduktion.

Was dürfen die kleinen Unternehmen und EPU von euch erwarten?

Die Grüne Wirtschaft hat den Begriff Ein-Personen-Unternehmen erst in die Wirtschaftskammer gebracht. Die ÖVP und ihr Wirtschaftsbund schauen auf EPU herab: „Das sind ja Hobby- Unternehmer.“ So wurde und wird über 60 % aller Unternehmer:innen in Österreich geredet! Wir wissen: EPU sind ganz wesentliche Ideenfinder, Spezialistinnen und Problemlöser. Wer das nicht verstanden hat, versteht auch die Wirtschaft und die neue Gesellschaft nicht. Für EPU braucht es mehr soziale Sicherheit. Und da sind wir wieder bei der Bedeutung der Wirtschaftskammer-Wahlen. Die Funktionär:innen der Kammer sitzen auch in den Entscheidungsgremien der Sozialversicherung. Dort machen wir Druck: Was ist mit Absicherung im Krankheitsfall? Was, wenn du als EPU arbeitslos wirst? Wie schaut es mit Mehrfachversicherungen aus, wenn die Erwerbsbiografie nicht durchgängig ist? Eine Grundpension wäre wichtig, gerade für selbstständige Frauen, die massiv von Altersarmut betroffen sind.

Gibt es eine Diversity-Lücke?

Es gibt ein Foto von der Verkündung der letzten Wirtschafskammer-Wahlergebnisse, auf der die Fraktionsführenden zu sehen sind. Ein Altherrenclub, ich bin die einzige Frau an der Spitze einer Fraktion. Ist das die Realität? In der wirklichen Welt, der echten Wirtschaft, sind Frauen überall an der Arbeit, führen Unternehmen, lösen Probleme. Ich will, dass sich das in der Kammer auch widerspiegelt. Deshalb: Geht’s wählen.