Ein Beitrag aus unserer Blogreihe »Zukunftsfähig Wirtschaften«

Arbeitskräftemangel – wir stehen erst am Anfang.

Der Arbeitskräftemangel wird uns noch lange begleiten und sich zusehends verschärfen. Nahezu alle Branchen sind betroffen. Aktuell gibt es in Österreich 140.000 offene Stellen. In Österreich hat der Arbeitskräftemangel im Vergleich zu anderen europäischen Ländern beachtliche Ausmaße angenommen. Laut einer einer Berechnung von Eurostat gibt es in Österreich gemeinsam mit Belgien die meisten unbesetzten Stellen in der EU. Österreichs Quote ist fast doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Die Ursachen und Lösungen sind komplex und vielfältig, ein Bündel an strategischen Maßnahmen wird gefordert.

Demografischer Wandel – der Pool an Arbeitskräften wird kleiner.

In Österreich vollzieht sich ein demografischer Wandel, der durch mehrere Faktoren beeinflusst wird. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind groß. Österreichs Gesamtbevölkerung wächst nur aufgrund von Zuwanderung und wird bis 2080 auf knapp 10 Millionen Menschen anwachsen. Die Geburtenrate in Österreich ist seit den 1970er Jahren rückläufig und liegt mittlerweile bei etwa 1,4 Kindern pro Frau. Das bedeutet, dass die Bevölkerung in den jüngeren Altersgruppen schrumpft und der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung steigt. Auch die  steigende Lebenserwartung der Bevölkerung führt zu einer Alterung der Gesellschaft. Die Situation verschärft sich am Arbeitsmarkt und für das Gesundheits- und Pensionssystem auch, weil die Babyboomer-Generation mittlerweile ihr Pensionsalter erreicht hat. Die Prognose für die demografische Entwicklung für die Erwerbsbevölkerung (20-64 Jahre) in Österreich zeigt – mit Ausnahme Wiens – bis 2050 einen Rückgang von bis zu 16,6 % in Kärnten, in der Steiermark bis zu 10,7 %. Die Zuwanderung ist hier schon eingerechnet.

Demografischer Wandel in Österreich

So wird sich der Anteil der Erwerbsbevölkerung lt. Statistik Austria bis 2080 von 62 % (2020) auf 52 % (2080) verringern. Gleichzeitig steigt der Anteil der Personen ab 65 Jahren von 19 % (2020) auf 29 % (2080), der Anteil der Personen jünger als 20 Jahre bleibt hingegen gleich.

Demografischer Wandel

Diese Zahlen verdeutlichen die Dramatik: »Wie kann unser Sozialstaat aufrechterhalten bleiben, wenn er schon jetzt an seine Grenzen kommt?«

Wie gelingt es, den Pool an Arbeitskräften zu vergrößern?

Insgesamt gibt es viele Möglichkeiten, den Pool an verfügbaren Arbeitskräften zu vergrößern. Wichtig ist hierbei eine gezielte und strategische Herangehensweise, die von den Unternehmen, den potenziellen Arbeitnehmer:innen, von Politik und Gesellschaft mitgetragen wird.

Anreize schaffen, die Lebensarbeitszeit zuverlängern.

Menschen gehen in der Pension einer Erwerbstätigkeit nach, wenn es dafür steuerliche und Sozialversicherungsanreize gibt.

Die Angleichung des Frauenpensionsalters an das Männerpensionsalter wird bereits ab 2024 eingeleitet. Damit bleiben mehr Frauen erwerbstätig, wenn es die Arbeitsmarktsituation und die Gesundheit zulassen. Eine Maßnahme, die auch der Altersarmut von Frauen entgegenwirken könnte.

Gesundheitsförderung, betriebliche Gesundheitsprogramme, altersgerechte Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeitmodelle, Sportangebote usw. könnten die Menschen ebenfalls länger im Erwerbsleben halten. Gute Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.

Mehr Vollzeitarbeit statt Teilzeitarbeit .

In Österreich arbeiteten 2022 30,5 % der Menschen in Teilzeit, 12,6 % der Männer, 50,7 % der Frauen. Allerdings arbeiten drei Viertel der unselbständig Teilzeitbeschäftigten unfreiwillig in Teilzeit. Insbesondere Frauen können oft aufgrund von Betreuungspflichten und fehlenden Kinderbetreuungsangeboten keiner Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Abhilfe könnte hier eine Ausweitung des Angebots an Kindergartenplätzen bieten, das aber nicht umsetzbar ist, da auch hier wieder Fachkräfte fehlen… Eine Momentum-Studie weißt auch darauf hin, dass Stellen oft bis zu einem Drittel nur als Teilzeitstellen ausgeschrieben werden. Bei den Jungen ist es so, dass hier 28,4 % (20-24Jährige) und 26,1 % (25-29) in Teilzeit arbeiten.

Die Arbeitsbedingungen verbessern.

Wenn Arbeitsbedingungen unattraktiv sind, kann dies dazu führen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich gegen einen Job entscheiden oder diesen verlassen. Hierzu zählen unter anderem schlechte Bezahlung, mangelnde Aufstiegschancen, ungünstige Arbeitszeiten, unzureichender Arbeitsschutz oder eine allgemein schlechte Arbeitsatmosphäre. AMS-Chef Johannes Kopf plädiert für eine Arbeitswelt, die flexibler, digitaler, ökologischer und internationaler werden müsse. Dafür braucht es die Anstregung von vielen: von Arbeitgeber:innen wie Arbeitnehmer:innen, Bildungseinrichtungen, Schulen, Ausbildungsstätten, Lehrlingsausbildung.

Verbesserung des Arbeitsplatzimages, sogenanntes Employer Branding: Unternehmen können ihr Image verbessern und als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen werden, indem sie ihre Arbeitsbedingungen und Vergütungsstrukturen verbessern, Karrieremöglichkeiten schaffen, flexible Arbeitszeitmodelle anbieten und soziale Verantwortung übernehmen.

Die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen forcieren.

Unternehmen sollten mit anderen Unternehmen kooperieren, um gemeinsam Ausbildungsprogramme zu entwickeln, Arbeitskräfte zu teilen oder sogar gemeinsame Arbeitsplätze zu schaffen.

Integration von zugewanderten Menschen in den Arbeitsmarktverbessern.

Auch hier gibt es viele Möglichkeiten. Einem Bericht des Standard zufolge, haben nur etwa 52 Prozent der Menschen, die 2015 aus Afghanistan, Syrien und anderen Staaten nach Österreich gekommen sind, Arbeit gefunden. Davon sind viele prekär beschäftigt. Eine Erklärung ist, dass die Betroffenen nicht dauerhaft beschäftigt sind. Menschen, die 2015 aus Syrien, Afghanistan, Irak und Co zuwanderten, arbeiten im Schnitt 261 Tage im Jahr, sind also fast 30 Prozent der Zeit arbeitslos. Für Menschen, die 2015 aus einem EU-Staat nach Österreich gekommen sind, ist die Beschäftigungsquote deutlich höher, sie liegt bei circa 79 Prozent.

Attraktivierung Österreichs für ausländische Arbeits- und Fachkräften.

Mittlerweile gibt es in Österreich 98 Mangelberufe. In fast allen Branchen, von Bäcker:innen, Techniker:innen, Buchhalter:innen, Pfleger:innen, Ärzt:innen werden händeringend Arbeitskräfte gesucht.  Um hier dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, muss Österreich für ausländische Arbeits- und Fachkräfte attraktiver werden. Eine grundlegende Reform der Rot-Weiss-Rot-Card ist notwendig, Nostrifizierungen (Anerkennung von Ausbildungen im Ausland) müssen einfacher und schneller abgewickelt werden. Betroffene, sowohl potentielle Arbeitnehmer:innen als auch Unternehmen berichten hier auch von überbordender Bürokratie.

Der Auftrag an die Politik, den Weg zu einer gerechten und sinnstiftenden Arbeitswelt zu ermöglichen.

Berechnungen des Arbeitskräftebedarfs und der Prognose der Erwerbsbevölkerung ergeben laut Wirtschaftskammer bis 2040 eine Lücke von rund 363.000 Arbeitskräften. Alle oben angeführten Maßnahmen werden dieses Grundproblem nicht lösen können, nur abmildern. Damit unser Sozialstaat aufrechterhalten werden kann, wird die Politik umfassende Maßnahmen ergreifen müssen. Die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack schreibt in ihrem neuen Buch »Wofür wir arbeiten«, dass der »Arbeitsmarkt keine Naturgewalt sei, die dem menschlichen Handeln entzogen ist. […] seine Bedürfnisse werden durch unsere Regeln und Gesetze, aber auch durch ökonomische und gesellschaftliche Praktiken geformt. Aufgabe der Politik bzw. uns Menschen müsse es sein, dass alle Menschen genug haben müssen, um ein würdevolles Leben zu führen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen zu können. Zu arbeiten.«

Die Konzepte, die kontroversiell diskutiert werden, reichen von einer grundlegenden Reform des Bildungssystems, samt Aus- und Weiterbildungspolitik – Stichwort Lebenslanges Lernen, einer globalen Jobgarantie mit Mindestlohn über unterschiedliche Arbeitszeitsmodelle mit oder ohne vollen Lohnausgleich, über das »Gesundschrumpfen« der DeGrowth-Bewegung bis zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. Und es wird sich auch in der Gesellschaft der Diskurs zum »Wert der Arbeit« verändern müssen. Wir brauchen wieder »mehr Bock auf Arbeit«, wie es der Chef der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, fordert.

Helene Zand, im April 2023

Dieser Blogbeitrag ist eine Zusammenfassung der Diskussion bei der Mandatar:innenkonferenz der Grünen Wirtschaft Steiermark.

Links:

Der Standard, Arbeitskräftemangel aktuell in keinem EU-Land größer als in Österreich: https://www.derstandard.at/story/2000145383811/arbeitskraeftemangel-aktuell-in-keinem-eu-land-groesser-als-in-oesterreich?ref=article

Agenda Austria, Der Arbeitskräftemangel steht erst am Anfang: https://www.agenda-austria.at/grafiken/der-arbeitskraeftemangel-steht-erst-am-anfang/

Wiener Zeitung, 2080 knapp 10 Millionen Menschen in Österreich: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2129048-2080-knapp-10-Millionen-Menschen-in-Oesterreich.html

Stastik Austria, Teilzeitarbeit, Teilzeitquote: https://www.statistik.at/statistiken/arbeitsmarkt/arbeitszeit/teilzeitarbeit-teilzeitquote

Der Standard, Jobs, aber kein Aufstieg für Geflüchtete: https://www.derstandard.at/story/2000144796329/jobs-aber-kein-aufstieg-fuer-gefluechtete

Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, Bundesweite Mangelberufe: https://www.migration.gv.at/de/formen-der-zuwanderung/dauerhafte-zuwanderung/bundesweite-mangelberufe/

Johannes Kopf, Arbeiten morgen – was sich ändern muss: https://www.derstandard.at/story/2000142119803/arbeiten-morgen-was-sich-aendern-muss?ref=article

Arbeitszeitreport des Momentum Instituts: https://www.momentum-institut.at/news/arbeitszeitreport-2023

Barbara Prainsack, Wofür wir arbeiten:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von www.brandstaetterverlag.com zu laden.

Inhalt laden