»Wie zukunftsfähig ist die Gesundheitsbranche?«
Ein Stimmungsbild
Ein Beitrag aus unserer Blogreihe »Zukunftsfähig Wirtschaften«

Gesundheit als Fundamentalwert hat sich in den letzten Jahren tief in unserem Bewusstsein verankert und ist zum Synonym für hohe Lebensqualität geworden. Als zentrales Lebensziel prägt der Megatrend sämtliche Lebensbereiche, Branchen und Unternehmen. Gesundheit ist heute mehr als die Nichtanwesenheit von Krankheit: nämlich ein Zustand umfassenden körperlichen und seelischen Wohlbefindens. Damit durchdringt die Gesundheit immer mehr Bereiche und eröffnet attraktive Wachstumschancen und neue Geschäftsfelder für viele Unternehmen. Dieser Wertewandel zeigt sich auch in den Zahlen. So beliefen sich die Gesundheitsausgaben in Österreich 2004 auf rund 25 Mrd. Euro, 2019 bereits auf 44 Mrd. Euro.

Auf der anderen Seite sehen wir, obwohl wir uns immer mehr mit unserer Gesundheit beschäftigen und darauf achten, uns gesund zu ernähren, zu kleiden, zu wohnen etc., dass die psychischen Erkrankungen im Steigen begriffen sind. Aber auch Erkrankungen, die auf unseren Lebensstil zurückzuführen sind, nehmen zu.

Und noch etwas: der Fokus auf ein gesundes Leben führt auch zu Übersteigerung. Wir wollen immer noch gesünder, noch fitter, noch perfekter, noch leistungsfähiger werden. Es ist nie genug. Auf der anderen Seite verstärken sich Ängste, zu erkranken, sich anzustecken, zu altern … Die Bedeutung von körperlicher Unversehrtheit wurde zu einer Schlüsselressource. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Gesundheitswirtschaft in Österreich.*

Die Gesundheitswirtschaft in Österreich gliedert sich in zwei Bereiche:
Der Kernbereich der Gesundheitswirtschaft (erster Gesundheitsmarkt) umfasst die medizinischen Dienstleistungen (teil-)stationärer und nichtstationärer Einrichtungen, die Verwaltung im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft sowie die pharmazeutische, medizintechnische und optische Produktion. Dieser Bereich finanziert sich über die Sozialversicherungsbeiträge und öffentliche Gelder.

Die Erweiterte Gesundheitswirtschaft (zweiter Gesundheitsmarkt) erfasst die gesundheitsrelevante Ernährungs-wirtschaft, gesundheitsorientierte Textilien und Kleidung, die gesundheitsrelevante Sportwirtschaft, gesundheitsrelevante Printmedien, Produkte der Körper-, Mund- und Zahnpflege, den Gesundheitstourismus, die gesundheitsrelevante Freizeitwirtschaft, die gesundheitsrelevante Ausbildung/Schulen, das gesundheitsrelevante Sozialwesen und unternehmensnahe Dienstleistungen in Bezug auf das Gesundheitswesen. Dieser Zweite Gesundheitsmarkt ist ein dynamischer Zukunftsmarkt, der privat finanziert wird.**

Wie sehen nun Dienstleister:innen aus dem zweiten Gesundheitsmarkt diese Entwicklung? Wie erleben sie  »Gesundheit« in ihrer Branche?***
Die Coronakrise wird als Zäsur empfunden, sowohl von den Klient:innen als auch den Anbieter:innen. Viele nutzten die Corona-Lockdowns für berufliche Weiterentwicklung und Veränderung. Neue Geschäftsfelder haben sich durch den Einstieg in die Online-Beratung ergeben. Auch der Faktor »Zeit« hat eine andere Wertigkeit bekommen: die einen hatten zuviel, die anderen zu wenig Zeit. Für einige stellte sich auch die Frage: »Passen mein Unternehmen und meine Persönlichkeit noch zusammen?« Neue und alte Themen sind: Belastung und Entlastung durch Homeoffice, Stressprävention, Einsamkeit, Ängste.

Ramona****, du kennst die Gesundheitsbranche gut. Wo siehst du Herausforderungen im Gesundheitsbereich gerade jetzt?

Ramona Matschnigg:
Wir arbeiten grundsätzlich am »gesunden« Menschen und in der Prävention. Der Fokus liegt auf der Unterstützung und Begleitung unserer Klient:innen, damit sie ein nachhaltiges Wohlbefinden erreichen. Das Wohlbefinden ist ein subjektives Empfinden, d.h. es ist schwer messbar bzw. entwickelt sich in einem Prozess über einen längeren Zeitraum, in mehreren Einzelsitzungen. Manchmal auch in Kombination mit verschiedenen Methoden. Die persönliche Beziehung und das Vertrauen der Klienten:innen zu uns Anbieter:innen ist wesentlich für unseren Erfolg, aber auch für den Gesundheitserfolg der Klient:innen. Der Kontakt und die Berührung ist ein wichtiger Aspekt meiner Dienstleistung der »prozessorientierten Körperarbeit«. In der Coronazeit war dies alles nicht möglich. In dieser Zeit mussten ich und meine Kolleg:innen die Arbeit stilllegen. Der Kontakt zu den Klient:innen ist dadurch über einen langen Zeitraum abgebrochen. Der Neubeginn am 8.2.2021 war wie ein Neustart nach einem langen Winter.

Wir haben in Corona gesehen, dass für die/den einzelne:n der individuelle Gesundheitszugang immer komplexer wird. Gesundheit liegt nicht mehr bei mir alleine, sondern unterliegt oft einem ganzen Wirkungszusammenhang und entzieht sich meiner Kontrolle. Meine individuelle Gesundheit hängt davon ab, wie ich wohne, wo ich arbeite, wo ich lebe etc. Was bedeutet für dich Gesundheitskompetenz?

Ramona Matschnig:
Gesundheitskompetenz bedeutet für mich, dass der Mensch für sich selbst spürt und begreift, wann er Hilfe in Anspruch nehmen soll. Gesundheitskompetenz für mich als Anbieterin bedeutet, eine fundierte Ausbildung und Interesse an den Menschen zu haben. Gesundheitskompetenz ergibt sich dabei auch über die Jahre durch die persönliche Beratung, aus Erfahrungen und regelmässigen Weiterbildungen.

Wie siehst du das Thema »Verantwortung«? Hast du als Gesundheitsdienstleister:in eine spezielle Verantwortung.

Ramona Matschnigg:
Als Unternehmerin führe ich mein Unternehmen natürlich nach wirtschaftlichen Kriterien. Meine Leistung hat ihren Wert und Preis. Dennoch habe ich gegenüber meinen Klient:innen eine große Verantwortung und reines Profitstreben und Gewinnmaximierung kann und darf nicht unsere Motivation sein. Mir ist deshalb die Qualitätssicherung im privat finanzierten Gesundheitsbereich sehr wichtig.

Wie könnte diese aussehen?

Ramona Matschnigg:
Qualitätssicherung heißt für mich, dass gewisse ethische Werte (Vertraulichkeit, Datenschutz, keine Kompetenzüberschreitung etc.) eingehalten werden. Weiters ist auch die wertschätzende und achtsame Kommunikation mit dem/er Klient:in ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Arbeit.

Was hat sich für dich in deiner Branche durch Corona verändert? Hat sich überhaupt etwas verändert?

Ramona Matschnigg:
Nach anfänglichem schwierigen Neustart nach der Coronapause ist die Nachfrage sehr groß. Deutlich mehr Menschen kommen mit dem Thema »Angst« und »Stress« zu mir in die Praxis.

Was macht die Gesundheitsbranche zukunftsfähig? In vielen Branchen ist ein Kriterium für »Zukunftsfähigkeit«, die Bereitschaft der Unternehmen Kooperationen einzugehen. Funktioniert das in der Gesundheitsbranche? Gerade im zweiten Gesundheitsmarkt gibt es sehr viele Unternehmerinnen, meist als EPU und oft schlecht finanziell abgesichert.

Ramona Matschnigg:
Grundsätzlich ist schon die Tendenz sichtbar, dass sich einzelne EPU in Kooperationen begeben. Diese Kooperationen sind auch oft der Reduktion von Gemeinkosten (Miete etc.) geschuldet. Bei Kooperationen ist es wichtig, dass die Menschen und die angebotenen Methoden zueinander passen, sich ergänzen und die Dienstleister:innen voneinander lernen. Wesentlich ist auch die Einführung von Qualitätszertifikaten und Mindeststandards zur Stärkung des Vertrauens der Klient:innen an die angebotenen Dienstleistungen. Das ist eigentlich nur ein Thema des Erstkontakts zwischen Klient:in und Dienstleister:in. Bei eingeführten Unternehmen sind die Weiterempfehlungen und die Referenzen das A&O für den Erfolg im Business.

Fazit
Der zweite Gesundheitsmarkt, privat finanziert, ist ein dynamischer Zukunftsmarkt mit vielen Herausforderungen, aber auch vielen Chancen. Herausforderungen sind die Themen »Gesundheitskompetenz« der Klient:innen, »Verantwortung« der Anbieter:innen gegenüber ihren Klient:innen, »Qualitätssicherung« des Angebots und die »soziale Absicherung« der Anbieter:innen. Auf der anderen Seite bringt der »Megatrend Gesundheit« für viele Selbstständige neue Geschäftsfelder. Die Coronapandemie hat beide Seiten weiter verstärkt: »Gesundheit« als Wert hat noch mehr an Bedeutung gewonnen, für die Anbieter:innen, vielfach Frauen und EPU, allerdings gab es Mehrfachbelastung durch Betreuungspflichten und Einkommenseinbußen durch die Lockdowns. Einige konnten ihr Unternehmen nicht mehr weiterführen. Durch den Kampf gegen die Pandemie sowie die Auswirkung von Covid-19 auf das mentale Befinden wird »Gesundheit« zur gesamtgesellschaftliche Zukunftsaufgabe: Die Gestaltung der Umwelt im Sinne der Gesundheit aller.

Helene Zand, im August 2021

*Ergebnis einer Befragung bei einer Veranstaltung der Grünen Wirtschaft für die Gesundheitsbranche am 16. Juni in Graz
*Megatrend Gesundheit
*Gesundheitswirtschaft Österreich. Studie für die Wirtschaftskammer Österreich
*Ramona Matschnigg ist Funktionärin in der FG der persönlichen Dienstleister:innen in der Wirtschaftskammer und bietet in ihrem Raum für Neues prozessorientierte Körperarbeit an.