Der Reset-Moment

Grätzl-Werk-Stadt NO. 38: Wenn aus der Krise Gegensätze kombiniert werden und Neues entsteht

Lockdown, ein Wort, das bis dahin wohl kaum wer gekannt hat, und das schlagartig alles auf den Kopf gestellt hat. So auch bei den Austria Guides. Wie viele waren auch sie von einem auf den anderen Tag damit konfrontiert, dass ihre Arbeit so wie sie sie bisher ausgeübt haben, nicht mehr möglich war. Für wie lange, das konnte im Frühling 2020 keiner vorhersehen, als der Lockdown begann. Dieser Moment hat vieles verändert und war oft auch der Anstoss einer Veränderung, einen neuen Weg zu gehen und die Sicht auf die Welt zu verändern.

Eine Gruppe in Wien, die sich in dieser Zeit gefunden und neu orientiert hat, sind die »Austria Guides For Future«. Der Name verrät schon die Nähe zur For-Future-Bewegung und ist gleichzeitig eine interessante Kombination aus zwei Welten. Dem klassischen Austria Guide mit dem Blick auf Vergangenes und einer Bewegung, die die Zukunft gestaltet. Neugierig, was daraus entstanden ist, haben wir Cristina-Estera Klein zu einem Gespräch eingeladen, uns mehr über diese spannende Neuorientierung in einer alles verändernden Krise zu erzählen.

©Austria Guides for Future

Ihr habt »Austria Guides For Future« mitten im ersten Lockdown 2020 gestartet. Wie ist es dazu gekommen?

»Austria Guides For Future« zeigt, dass auch Positives aus der Krise entstehen kann. Mit dem ersten Lockdown 2020 haben wir alle unsere Arbeit verloren, Aufträge wurden storniert, die große Unsicherheit war da, wie es nun weitergeht.

Einige Kollegen und Kolleginnen, die sich schon länger kannten, begannen dann, sich regelmäßig auf Zoom auszutauschen, mit einer Regel: Wir sprechen über alles, außer Corona. Jedes Treffen wurde vorbereitet und gestaltet, mit Themen, mit denen wir uns als Guides beschäftigen. Aus diesen Treffen heraus, hat sich dann die Idee entwickelt, Themen in Wien aufzugreifen, die bisher noch wenig besprochen sind. Vor allem Themen, die unserer klassischen Ausbildung als Guide so gar nicht vorgekommen sind, wie etwa Umwelt und Klimaschutz. Diese beiden Themen waren besonders in der Zeit des ersten Lockdowns sehr präsent, Bilder wie die Natur sich Lebensraum zurückholt, gingen um die Welt. Damit diese zentralen Themen nicht vergessen werden und auch zukünftig Teil unserer Arbeit bleiben, haben wir »Austria Guides For Future« gegründet.

Als Guides sprechen wir über Geschichte, wir sprechen über die Gegenwart, aber es ist auch wichtig, über die Zukunft zu reden. Da wir in Wien auch keine Hinweise gefunden haben, dass es so ein Angebot, wie wir es planen, schon gibt, haben wir damit gestartet. Kurz gesagt, aus der Krise heraus, aus der Feststellung „Ok, wir können nicht mehr arbeiten, was machen wir jetzt?“ gab es diesen Reset-Moment. Sowohl für uns als Gruppe als auch als Einzelpersonen. Zu reflektieren und zu hinterfragen, welche Themen sind wichtig.

Das Schöne an unserer Arbeit ist ja, dass wir sehr flexibel und dynamisch sind, dass wir selbständig arbeiten. Aber solange du in dem alltäglichen, gewohnten Trott drinnen bist, ist oft wenig Raum für Veränderung. Erst wenn es dann solche Momente gibt, dann hältst du inne und überlegst, was noch alles möglich ist. Aus einer Krise kann etwas Positives entstehen, weil es Veränderung anstößt, wenn man das möchte.

Anfang Juni 2020 haben wir gestartet, die Themen besprochen, immer in regem Austausch mit Experten und Expertinnen und mit Organisationen, sodass wir an die richtigen Quellen kommen. Denn Literatur in Bezug auf zukünftige, ortspezifische Entwicklungen ist für uns Guides recht wenig vorhanden, somit mussten wir auch anpassen, wie wir recherchieren und zu Material kommen.

Insektenhotel – ©Austria Guides for Future

Eure Grundsätze und der Namen spiegeln die Idee und Vision von »Fridays for Future« wider. Erzähle uns doch etwas mehr davon!

Den Namen »Austria Guides For Future« haben wir bewusst gewählt, da unser Anspruch durchaus ein aktivistischer ist, in gewisser Form Aktivismus light. In unserem Beruf sind wir als Vermittler und Vermittlerinnen tätig, können Veränderung schaffen, inspirieren und auf Themen aufmerksam machen, die einfach wichtig sind. Das auf eine sehr niederschwellige, positive Art und Weise. Wir können Menschen anregen, über Dinge nachzudenken, Themen zu vertiefen oder sich zu engagieren. Wir wollen zeigen, dass es auch für den Einzelnen möglich ist, etwas zu tun und zu verändern.

Mit den Grundsätzen haben wir uns orientiert an den Grundsätzen aller For-Future-Gruppen, vor allem an denen anderer Berufsgruppen, um auch inhaltlich anzuknüpfen. Auch um zu zeigen, dass wir diese Bewegung unterstützen. Wir sind auch offiziell eine Allianz von der For-Future-Bewegung und beteiligen uns auch aktiv an der Gestaltung und Umsetzung.

Du hast schon erwähnt, dass es eben recht wenig typische Unterlagen und Material gibt, auf dem ihr eure Touren aufbauen könnt. Wie kommt ihr also zu den Ideen für eure Touren?

Pelzgasse, Schwammstadt – ©Austria Guides for Future

Inspiration kommt immer dann, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, sich informiert und liest. So entdecken wir auch in Wien laufend neue Projekte und Geschichten. Beispielsweise gibt es im 15. Bezirk seit einiger Zeit die Pelzgasse, die nach dem Schwammstadtprinzip gebaut und gestaltet wurde. Ein unglaublich spannendes Thema. Das greifen wir natürlich sofort auf, recherchieren, schauen, was es dort alles gibt und bauen dazu unsere Tour auf.

Sehr spannend sind auch all die neuen Projekte und Quartiere, die in Wien entstehen. Ein bekanntes Beispiel ist die Seestadt. Hier verbirgt sich eine spannende, neue Welt, die auf den ersten Blick vielen Menschen gar nicht bewusst ist. Uns geht es darum, neue Stadtteile erlebbar zu machen, einen neuen Blick darauf zu bekommen und auch die positiven Aspekte aufzeigen, die hier umgesetzt wurden. Alles immer auch mit einem kritischen Blick.

Seestadt Gemeinschaftsgärten ©Austria Guides for Future

Weiters arbeiten wir auch Partnern, etwa Baugruppen, zusammen, für die wir Touren entwickeln. Wir sind zum Beispiel Kooperationspartner der IBA Wien, für die wir dann spezielle Touren entwickeln.

Unsere Touren können auch Impulsgeber für eine anschließende Diskussion sein, eine Kombination, die sehr schön ist. Vor allem, wenn Bewohner und Bewohnerinnen dabei sind, um ihnen neue Aspekte ihres Umfelds aufzuzeigen. Beispielsweise planen wir Veranstaltungen, die aus 90 Minuten Tour und 90 Minuten anschließender Diskussionsrunde zusammengestellt sind. Das wird hoffentlich sehr inspirierend und bereichernd.

So wie du das erzählst, merkt man absolut die Begeisterung für dieses Thema und eure Bereitschaft, hier etwas zu bewegen. Bei alle dem, wo siehst du für euch die Herausforderungen?

Eine der größten Herausforderungen ist es, dass wir bisher noch fast keine Touren machen durften. Mitte 2020 war die Gründung, Webseite und Netzwerk wurden aufgebaut, wir haben begonnen und dann kam der nächste Lockdown. Trotz der Winterzeit hatten wir schon einige Touren, die dann natürlich abgesagt wurden. Jetzt sind wir so weit, dass wir endlich ins Tun kommen können. Wir haben sehr viel vorbereitet und das geht nun in die Umsetzung.

Wie gut werdet ihr von der Stadt Wien und dem Wien Tourismus unterstützt beziehungsweise auch wahrgenommen?

Erste Kontakte gibt es schon, wir werden auch schon etwas wahrgenommen, es darf natürlich noch viel mehr werden. Vor allem über die IBA (Internationale Bauausstellung Wien) und erste Kontakte zur Wien Energie. Auch für den Wien Tourismus haben wir bereits Touren entwickelt für die Vienna Experiences. Wünschenswert wäre es, damit auch Menschen zu erreichen, die sich sonst nie für unser Angebot interessiert hätten. Für den Anfang sind das schon sehr gute Schritte.

Wo wir auf jeden Fall noch mehr tun möchten und dies auch ausbauen, ist im pädagogischen Bereich. Ein Angebot für Schulklassen entwickeln, als Klimaschutz im eigenen Umfeld der Schule zu erleben. Aber das braucht noch etwas, bis klar ist, was und wie es aufgrund der derzeitigen Regelungen wieder möglich sein wird.

Ihr hebt euch mit »Austria Guides for Future« doch deutlich von dem klassischen Angebot an Wientouren ab. Wo siehst du euch in diesem touristischen Spektrum an Angeboten?

Das imperiale Erbe Wiens ist im Tourismus und dem dazugehörigen Angebot sehr präsent. Wien hat aber noch viel mehr zu bieten, als das, was wir bei den klassischen Touren zeigen. Beides hat seine Berechtigung. Das Prunkvolle, Imperiale, auch das hat seine ganz eigene Magie und Anziehungskraft. Dennoch gibt es aber auch die anderen Seiten, die es in Wien zu entdecken gilt. Die Stadt ist einfach so viel mehr, so bunt, so divers, neue Subkulturen, talentierte Künstler und Künstlerinnen, deren Bühne die Stadt ist, versteckte Orte, die noch im Verborgenen liegen.

Natürlich ist auch der Tourismus kein homogener Begriff, sondern eine Mischung aus den unterschiedlichsten Akteuren. Aber wenn man ein bisschen über die Ringstraße hinaussieht, gibt es sehr viel Spannendes. Deswegen haben wir uns mit unseren Touren auch bewusst dafür entschieden, mehr in den Bezirken zu machen. Wobei wir sehr wohl die Geschichte und die Entwicklung der Bezirke miteinbeziehen in unseren Touren. Wir verbinden Altes mit Gegenwärtigem mit Zukünftigen.

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Kooperationen und Möglichkeiten, um Menschen auf diese Themen aufmerksam zu machen.

Was wir wirklich großartig finden, wenn wir unser Touren anbieten können für Gäste und Gästinnen und diese nichts dafür zahlen müssen, da die Tour von Kooperationspartnern oder den Auftraggebern übernommen wird. Auch, dass unser Angebot von den Bezirken als Angebot für die Bewohner und Bewohnerinnen angenommen wird und wir so dann auch Leute erreichen, die vielleicht eher skeptisch sind.

Die Frage ist ja immer, welche Leute erreichen wir. Vor allem, wie kommen wir zu denen, für die diese Themen noch recht neu sind, um so noch mehr Impact zu haben. Da sind niederschwellige Angebote ideal, vor allem wenn sie eingebettet in ein Package, ein Festival oder eine größere Veranstaltung sind. Sodass uns Menschen finden und auf uns aufmerksam werden, die nicht spezifisch danach suchen. Denn in Wien gibt es so viele tolle Initiativen und Projekte, deren Geschichte einfach erzählt gehört. Gemeinsam neue Wege gehen und die Stadt in all ihren Facetten neu entdecken.