»Zukunftsfähig Wirtschaften – ja, klar, aber wie und was heißt das genau?«
Ein Beitrag aus unserer Blogreihe »Zukunftsfähig Wirtschaften«*
Ein Blick in die unmittelbare Zukunft: es ist Herbst 2021. Die Coronakrise hat ihren Höhepunkt überschritten. Wir blicken hoffnungsfroh in die Zukunft. Dennoch sind die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen unübersehbar. Unternehmenspleiten, hohe Arbeitslosigkeit, Zunahme an psychischen Erkrankungen etc. Und die nächste gewaltige Herausforderung für die Menschheit steht vor der Tür: die Klimakrise. Nahezu alle namhaften Forscher:innen sind sich einig, dass für alle von uns umwälzende Transformationsprozesse anstehen, insbesondere für die Wirtschaft und die Unternehmen.
Wie sehen diese Transformationsprozesse aus? Welches Verständnis von Wachstum, Fortschritt und Entwicklung liegt ihnen zugrunde und wie können wir trotz Verzicht ein »gutes Leben« führen?
Ökonomische Schrumpfung und dafür Ausbau unserer zivilisatorischen Errungenschaften.
Für Bernhard Mark-Ungericht, Leiter des Arbeitsbereichs Nachhaltige Wirtschaft – Ethik und Transformation an der Universität Graz, sind trotz ökologischer und sozialer Grenzen des Wachstums alle Stellschrauben unseres Wirtschaftssystems auf endloses Wachstum ausgerichtet. Anstelle eines notwendigen Rückbaus der Ökonomie führt gerade technologischer Fortschritt zu steigendem Impact und damit zu noch mehr Ressourcenverbrauch. Dies stellt nicht nur eine reale Herausforderung für die Zukunftsfähigkeit einer funktionierenden Gesellschaft dar, sondern auch für die Unternehmen.
Unternehmen sind nur dann zukunftsfähig, wenn sie einen Beitrag zur ökonomischen Schrumpfung durch Reduktion von Ressourcenverbrauch und Emissionen leisten. Einem notwendigen Rückbau der Ökonomie steht dafür der Ausbau unserer zivilisatorischen Errungenschaften wie demokratisches Gemeinwesen, Gesundheitsversorgung, Rechtswesen, Altersvorsorge und individuelle Freiheit, gegenüber.
Fünf Merkmale zukunftsfähiger Unternehmen
- Das Kerngeschäft dieser Unternehmen wird auf Reduktion ausgerichtet.
- Diese Unternehmen sind lebensfähig ohne ressourcenverbrauchendes Unternehmenswachstum.
- Sie leisten einen Beitrag zur Bildung von gesellschaftlicher Resilienz.
- Sie setzen sich für einen Kulturwandel zu nachhaltigem Lebensstil ein.
- Sie sind sich ihrer ordnungspolitische Mitverantwortung bewusst. Unternehmen werden politische Aktivisten für ökonomische Transformation.
Mark-Ungericht sieht darin ein neues Selbstverständnis von Unternehmen, das einen radikalen Bruch in unserem Verständnis von Unternehmertum bedeutet: Im Vordergrund steht der Wille zur freiwilligen Selbstbegrenzung: mehr Regionalwirtschaft, lokale und kleinteilige Ökonomie, weniger Global player. An die Stelle von Gewinnmaximierung tritt eine Auskommensorientierung. Zukunftsfähige Unternehmen folgen einer anderen, verlangsamenden und zirkulären Logik. Der Unternehmenserfolg wird breiter gesehen, weniger gewinn- und mehr zweckorientiert. Gemeinnützigkeit sind Ziele unternehmerischen Handelns. Kapitalgesellschaften verlieren gegenüber Familienunternehmen, gemeinnützigen Stiftungen, Genossenschaften und Kooperationen an Bedeutung. Damit leisten Unternehmen ihren Beitrag zu einer kulturellen Transformation, hin zu einer Kultur der Genügsamkeit und des Maßhaltens, der Solidarität und des Mitgefühls für zukünftige Generationen und ermöglichen damit ein »gutes Leben« für alle.
Ein Gesamtverständnis der Komplexität der Welt führt zu mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Menschlichkeit und verbessert unsere Krisenfestigkeit.
Einen anderen Ansatz verfolgt der Wirtschafts-Essayist und brandeins-Gründer Wolf Lotter. In seinem neuen Buch »Zusammenhänge. Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen« spricht Wolf Lotter die nicht zu leugnende Tatsache an, dass unsere sich so schnell entwickelnde Welt immer komplexer wird. Einfache Lösungen gibt es kaum mehr, denn alles kann und soll auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Die logische Folge? Starre und egozentrierte Denkmuster haben ausgedient.
Im Übergang von einer Industrie- zu einer Wissensgesellschaft wird sich auch die Ökonomie verändern. Massenproduktion, quantitative Wirtschaft und standartisierte Arbeitsprozesse sind Auslaufmodelle. Was wir heute brauchen ist eine »Beziehungswirtschaft«. »Die Netzwerke, in denen wir leben und arbeiten, bedürfen einer Beziehungswirtschaft, die darin besteht, dass man fragt, was andere brauchen, was ihnen guttut, wie sie Probleme lösen.«
Im Zentrum Lotters Überlegungen steht das Individuum, die Person mit ihren Bedürfnissen, auch nach Respekt und Anerkennung. Für das Individuum, für jede:n von uns, aber auch für die Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik, bedeutet das Arbeit, Anstrengung und Auseinandersetzung. Wichtig ist für Lotter auch den Begriff der »Selbstverwirklichung« neu zu definieren. Selbstverwirklichung bedeutet nicht, sich nur mit sich selber zu beschäftigen, sondern sich zu fragen: »Was habe ich in der Bildung, im Beruf, im Leben zu erreichen? Das was ich am besten kann, das habe ich für andere anzubieten, damit die anderen [die Welt, die Gesellschaft, HZ] am meisten davon haben.« Dieses Gesamtverständnis der Welt wird zu mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Menschlichkeit führen und auch unsere Krisenfestigkeit verbessern.
Conclusio
Auch nach Corona wird unsere Zukunft herausfordernd, hochkomplex und nicht immer planbar sein. Darin liegt letztendlich aber auch die Chance, alte, nicht mehr zeitgemäße Wirtschaftssysteme zurück- und neue zuzulassen, damit ein gutes, reichhaltiges Leben für alle möglich wird.
Helene Zand, im Mai 2021
*Dieser Artikel ist ein Zwischenbericht zur online-Reihe »Zukunftsfähig Wirtschaften – wie geht das?« der Grünen Wirtschaft Steiermark im Frühjahr 2021, an der Bernhard Mark-Ungericht und Wolf Lotter teilgenommen haben.
**Bernhard Mark-Ungericht: Vortrag am 15. Jänner 2021: »Re-Design: Unternehmerische Nachhaltigkeit ernst gemeint«: https://youtu.be/WW-X2itWMOU
***Wolf Lotter: Vortrag in Graz am 19. Februar 2021: »Wie Weltsicht und Weitsicht helfen können« https://youtu.be/sZjiTJT4Yjg