Von der Lehrlingskrise zur Ausbildungsreform
Das österreichische Modell der Lehre als duale Ausbildung gilt als Vorzeigemodell in ganz Europa – so lautet zumindest das Credo der Wirtschaftskammer. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch: Es bröckelt an vielen Stellen.
Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen geht schlicht die Zahl der Jugendlichen zurück. Gleichzeitig konzentrieren sich die Meisten, die einen Lehrberuf überhaupt in Betracht ziehen, auf nur wenige Berufe: Einzelhandel, KFZ-Mechanik, Büro oder Friseurhandwerk stehen weiterhin ganz oben auf der Liste. Von der Bandbreite der möglichen Lehrberufe wissen viele gar nichts.
Doch selbst dort, wo Nachfrage vorhanden wäre, fehlt es zunehmend an Ausbildungsplätzen. Ein Beispiel aus dem Alltag: Mein Friseur erzählte mir kürzlich, dass es immer schwieriger wird, Nachwuchs zu finden. Nicht, weil niemand Friseur:in werden will – sondern weil sich der Arbeitsmarkt in seiner Branche verändert hat. Immer mehr Friseur:innen arbeiten mittlerweile als Ein-Personen-Unternehmen (EPU), die sich tageweise in Salons einmieten. Diese bilden jedoch nicht aus – was über kurz oder lang zu einem Fachkräftemangel führt.
Und dieses Phänomen betrifft nicht nur Friseur:innen. Auch in anderen Bereichen, in denen Selbstständigkeit und Flexibilität zunehmen, verschwindet zunehmend die klassische Rolle des Ausbildungsbetriebs. Der Zugang zur Lehrausbildung bleibt dadurch oft Großbetrieben vorbehalten.
Zu klein zum Ausbilden?
Das Problem der sinkenden Anzahl an Ausbildungsbetrieben hat jedoch noch weitere Ursachen, die diese Konzentration auf große Unternehmen verstärken: Recruiting-Kampagnen kosten Geld.
Die Anforderungen an Lehrbetriebe sind hoch. Und viele kleine Betriebe sind so spezialisiert, dass sie gar nicht das gesamte Berufsbild abdecken können – sie bräuchten Partnerunternehmen in einem Ausbildungsverbund. Doch genau solche Kooperationen scheitern oft an zu starren Rahmenbedingungen.
Was es braucht, ist also ein Systemwechsel in der Lehrlingsausbildung, der sich an diese veränderten Strukturen anpasst. Auch Kleinstbetrieben soll es wieder möglich sein, Teil der Berufsausbildung zu werden.
So viel also zur Problemanalyse. Und damit ist wohl auch klar: Diese Situation lässt sich nicht allein durch eine „Aufwertung der Lehre“ lösen, wie sie aus den Reihen der ÖVP-Wirtschaftsbundfunktionäre seit Jahrzehnten zu hören ist.
Struktur statt PR: Die Lehre braucht eine echte Reform
Immer wieder wird versucht, das Image der Lehre aufzupolieren – mit Kampagnen, Slogans und Hochglanzbroschüren. Was es tatsächlich braucht, ist eine tiefgreifende strukturelle Erneuerung.
Der Vorschlag der Grünen Wirtschaft stellt die Berufsschule ins Zentrum eines regionalen Ausbildungsnetzwerks – als Regionale Ausbildungsplattform (RAP). Diese Drehscheibe
könnte nicht nur die Berufsorientierung verbessern und Schnuppertage organisieren, sondern auch fehlende Grundkompetenzen nachschulen und die überbetriebliche Ausbildung organisieren. Sie wäre zudem für das Matching zwischen Lehrlingen und Betrieben zuständig.
Ein zentrales Element unseres Vorschlags: Der Lehrvertrag soll nicht mehr mit einem einzelnen Betrieb, sondern mit der regionalen Ausbildungsplattform (RAP) abgeschlossen werden.
Durch das RAP-Modell können verschiedene Ausbildungsabschnitte an unterschiedlichen Orten stattfinden. Auch bei fehlenden Grundkompetenzen oder zur Schulung digitaler Fähigkeiten käme die RAP zum Einsatz. Sie wäre ein regionales Kompetenzzentrum für moderne Berufsausbildung.
Und auch die Finanzierung der Berufsausbildung sollte auf neue Beine gestellt werden. Entscheidend dabei: Das Lehrlingseinkommen wird aus zwei Säulen finanziert – sowohl durch Steuermittel als auch durch einen Ausbildungsfonds, in den alle Beschäftigungsbetriebe einzahlen. Gleichzeitig soll das Lehrlingseinkommen vereinheitlicht werden – gestaffelt nach Lehrjahr, aber unabhängig von der Branche.
So können auch kleinere Unternehmen, die bislang aus finanziellen Gründen oder wegen unregelmäßiger Auftragslage keine Lehrlinge aufnehmen konnten, aktiv in die Ausbildung einsteigen – ohne wirtschaftliches Risiko. Das schafft Transparenz, Gerechtigkeit und stärkt die Attraktivität der Lehre.
Jetzt handeln
Die Lehre steht am Wendepunkt. Es braucht jetzt den Mut zur Veränderung, damit sie wieder zum attraktiven und zukunftsfähigen Bildungsweg für Jugendliche wird!
Die Grüne Wirtschaft steht mit konkreten Lösungen bereit. Es ist Zeit, an den richtigen Stellschrauben zu drehen – für ein modernes Ausbildungssystem, das kleine und mittlere Betriebe als Ausbildungsstätten stärkt, Jugendlichen neue Perspektiven gibt und dem Standort Österreich wieder Sicherheit in der Fachkräftefrage bietet.
Sabine Jungwirth
Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft

